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Auf dem Holzweg, doch die Richtung stimmt

© Metsä Wood
In Turku (Finnland) entsteht ein Stadtteil aus Holz. Die Wohngebäude werden aus vorgefertigten Holzbauelementen errichtet.
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Immer mehr Kommunen, Bauträger und Architekten erkennen das Potenzial der Holzbauweise. Auch im mehrgeschoßigen Wohnbau etabliert sich der Baustoff Holz, meist in Kombination mit Beton. Ein Rundblick.

2026 soll das weltweit höchste Wohngebäude in massiver Holzbauweise in Winter­thur in der Schweiz fertig sein. Den Wettbewerb für das 100-Meter-Hochhaus mit dem Namen „Rocket & Tigerli“ gewann das däni­sche Architekturbüro Schmidt Hammer Lassen Architects (SHL) mit vier Gebäuden, die Wohnungen, Studentenwohnungen, ein Restaurant, Einzelhandelsflächen, eine Skybar und ein Hotel miteinander verbinden. Bei dem von einem Schweizer Bauunternehmen gemeinsam mit der ETH Zürich entwickelten System wird der Betonkern durch Holz ersetzt, wodurch einzelne Träger ein geringeres Gewicht aufweisen. Dies ermöglicht höhere Konstruktionen und sorgt gleichzeitig für einen geringeren Anteil an gebundenem Kohlenstoff im Bauprozess. Die Fassade wird mit dunkel­roten und gelben Terrakottaziegeln mit Details in Grün verkleidet – eine Anspielung auf die roten Dächer und Ziegel der historischen Gebäude in der Gegend.

Stadtquartiere aus Holz
Im Wohngebiet Linnanfältti in der finnischen Stadt Turku ist ein Stadtteil aus Holz im Entstehen. Die drei- und viergeschoßigen Wohngebäude werden mit Elementen aus Furnierschichtholz (Laminated Veneer Lumber, LVL) errichtet. Zwei dieser vom finnisch-dänischen Architekturbüro Schauman & Nordgren entworfenen Wohngebäude wurden bereits fertiggestellt. Das dritte befindet sich in der Innenausbauphase und der Bau des vierten Gebäudes hat bereits begonnen. Insgesamt entstehen 128 Wohnungen.
Die alten Holzhäuser in diesem Industrie­viertel stehen nun neben neuen Wohn­gebäuden aus Holz. Pro Woche wurde ein Geschoß errichtet. Da die Holzelemente leicht sind, konnte die Montage mit nur einem Brückenkran durchgeführt werden. Der Holzrahmen der Gebäude besteht aus tragenden Wänden. In den Wandelementen werden die Furnierschichtholzbalken und die Ständer an die oberen und unteren Gurte befestigt. Diese Elemente sind zudem isoliert. Die oberen Platten der Zwischenbodenelemente bilden eine steife Platte, die die Lasten auf die Wände überträgt. Die Dachelemente, Balken und Platten sowie die Wände versteifen das Gebäude.
Ein Stadtquartier für unterschiedliche Wohnformen, mit Kindergarten, Schwimmbad, einer Gemeinschaftsküche sowie einer Tiefgarage und einer Fahrradgarage ganz aus Holz – das ist das Quartier Weißensee im Nordosten Berlins. Es umfasst fünf Gebäude mit 114 Wohnungen, wurde von Deimel Oelschläger Architekten aus Berlin geplant und 2020 vom deutschen Wohnbauträger UTB um 1840 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche fertiggestellt. Die Idee war die Umsetzung eines ganzheitlichen Konzepts, das sowohl die ökologischen als auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt, erläutert Architekt Christoph Deimel. Die in Holz-Skelettbauweise er­richteten Gebäude sind vier- und fünfgeschoßig und um zwei Höfe gruppiert. Die Erdgeschoße mit öffentlicher Nutzung und die Treppenhäuser sind in Stahlbeton ausgeführt.

Holzelemente werden abmontiert
Neu in den mehrgeschoßigen Wohnbau in Holzbauweise eingestiegen ist WoodRocks Bau, ein Start-up der Bauunternehmen Rhomberg und Schrenk. In Feldkirch hat das Unternehmen im Vorjahr ein dreistöckiges Wohngebäude mit 13 Wohn­einheiten aus vorgefertigten Systembau-Holzelementen errichtet. Bauherr ist die gemeinnützige Vorarlberger Wohnbauvereinigung Wohnbauselbsthilfe. Als umweltbewusstes Statement verspricht WoodRocks den Bauherren bei Abbruch ihrer Wohnhausanlage die kostenlose Demontage der Holzelemente.

Amtsgebäude in Fichte
Ganz auf Holz setzt auch die oberösterreichische Gemeinde St. Ägidi bei der Neugestaltung ihres Ortszentrums. Der Typologie des Orts folgend hat der Architekt Dietmar Neururer aus Vöcklabruck zwei neue, frei stehende Baukörper im Ortszentrum positioniert, die zusammen mit dem Gasthaus, der Kirche mit dem Friedhof und dem Kaufgeschäft den zentralen Freiraum im Ortskern mit loser Möblierung, Beleuchtungskörpern, Fahnenmasten, Sitzgelegenheiten und einer Wasserfläche de­finie­ren. Die neuen Baukörper sind rechteckig mit einspringenden, überdeckten Eingangszonen. In ihrer Höherentwicklung sind sie ein- bzw. zweigeschoßig mit ausgebauten Satteldächern. Im Erdgeschoß befinden sich die Räume für Bürgermeister und Amtsleiter, Sitzungssaal, Sozialraum und die öffentlichen WC-Anlagen sowie ein Musikprobelokal. Im Obergeschoß sind die restlichen Räume der Gemeindeverwaltung untergebracht. Amtsgebäude und Musikheim sind in Holzbauweise errichtet und mit vorgehängter, geschlossener und hinterlüfteter Fassade aus Fichtenholz verkleidet. Die Gebäude gewährleisten aufgrund einer mineralischen Beschichtung jahrzehntelange Haltbarkeit. Durch eine helle Färbung erhält die Fassade Eleganz und fügt sich unaufgeregt in die umgebende Bebauung ein. Im Inneren der Gebäude wurde besonderer Wert auf natürliche Materialien mit hohen optischen und haptischen Qualitäten gelegt. Nur das Stiegenhaus ist betoniert.

Holz und Beton
„Miteinander Weichen stellen“ war das Motto für das Wohnprojekt Gleis 21 im Sonnwendviertel beim Wiener Zentralbahnhof. Eine Baugruppe aus über 30 Familien plante gemeinsam mit einzueins Architekten und der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft Schwarzatal ein Ökohaus. Dass es somit in Holzbauweise errichtet wurde, war naheliegend. Das Gebäude ist ab der Oberkante Erdgeschoß in Hybridbauweise errichtet: Die Decken bestehen aus Kreuz­lagenholz und Beton, die Außenwände aus vorgefertigten Holzkastenelementen und die Wohnungstrennwände wiederum aus Kreuzlagenholz. Die Fassade besteht aus einer sogenannten Chaosschalung aus Holz, die der Gebäudeoberfläche eine natürliche und gesamtheitliche Ausstrahlung verleiht. Die anfänglich angedachte Stahlkonstruktion für die flexible Balkonanordnung wurde durch die weltweit erste Holzbetonverbunddecke mit Betonrandbalken – wodurch die Pressungsproblematik der horizontalen Hölzer entfällt – und auskragender Balkonplatte entwickelt. Die Grundidee war, dass nur die Außenwände und die Mittelzone die statischen Aufgaben übernehmen und sämtliche Wohnungs­trennwände der durchgesteckten Wohnungen flexibel angeordnet werden.

Kleinteiliges Wohnen in Holz
Das Wohnprojekt Gleis 21 entstammt einem Bauträgerwettbewerb – ebenso wie die sechs Projekte im 21. und 22. Wiener Gemeindebezirk, die erste von mehreren Tranchen im Rahmen des „1. Wiener WohnBAUMprogramms“, das in Summe 1000 geförderte Wohnungen in kleinteiligen, zwei- bis viergeschoßigen Gebäuden in Holz- und Holz-Hybridbauweise auf den Weg bringen soll. Für die ersten rund 155 Wohnungen werden die Architektenteams AllesWirdGut, Gerner Gerner Plus und Hohensinn gemeinsam mit den Bauträgern Arwag bzw. Migra einfache, durchgängige Holzbaulösung im Modulsystem und in Rahmenbauweise realisieren (siehe Seite 85). Besonderer Wert wurde bei der Beurteilung der Projekte auf eine einfache Grundstruktur, Elementwiederholungen sowie auf den Vorfertigungsgrad gelegt, was eine verkürzte und vereinfachte Bauzeit ermöglicht, sowie auf veränderbare und leicht rückbaubare Tragstrukturen. Planung, Bau, Nutzung und Recycling sollen einen zusammenhängenden Kreislauf bilden. Im Fall der von AllesWirdGut und Gerner Gerner Plus geplanten Wohngebäude wird die Rücknahme und Wiederverwendung von Modulelementen bei einem möglichen Rückbau der Gebäude auch von dem an der Umsetzung beteiligten Holzbauunternehmen Weissenseer garantiert. Hohensinn Architekten wiede­rum setzen bei ihren Projekten auf ein Baukastensystem, das neben Holz- auch Beton­elemente enthält, wo sie sinnvoll sind – etwa bei den Decken, die als thermische Masse aktiviert und zur Heizung und Kühlung der Wohnräume eingesetzt werden können. Die Außen­wände bestehen durchgehend aus Holzständerwänden im strengen Raster von 62,5 Zentimetern und daran angepassten Fenster- und Türelementen. 

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