Haus+Wohnen 2023 Haus + Wohnen

Das aus der Mode gekommene Einfamilienhaus

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Aufgrund der urbanen Struktur Wiens fällt der Anteil an Einfamilienhäusern eher gering aus (Bild: geplanter Gemeindebau Wienerfeld West, WUP architektur).
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Seit dem Jahr 2019 sinkt die Nachfrage auf dem Einfamilienhausmarkt in Österreich. Gleichzeitig steigt das Angebot, was die Preise fallen lässt. Die gute Nachricht: Einfamilienhäuser sind wandlungsfähig. Findige Entwickler haben Ideen, wie das Eigenheim attraktiver gemacht werden könnte.

Die Ortschaften in Österreich seien „aus­geronnen“, bringt es Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen, auf den Punkt. Während etwa Deutschland und Frankreich seit jeher auf harte Siedlungsgrenzen setzen, nimmt die Zersiedelung in heimischen Landen immer hässlichere Ausmaße an, wie auch Kurt Weinberger von der Österreichischen Hagelversicherung nimmermüde wird, zu betonen.
Der Hauptgrund hierzulande an der Versiegelung wertvollen Bodens liegt an den „Dorfkaisern“: In unseren Dörfern, so hat es den Anschein, bestimmen Bürgermeister (das männliche Genus trifft hier überwiegend für die Kommunal-Chefs zu) scheinbar frei Hand über Baugenehmigungen (in Bayern beispielsweise entscheidet darüber der Landkreis).
Die Hagelversicherung weist darauf hin, dass die tägliche Verbauung von 11,3 Hektar (Dreijahresmittelwert) – das entspricht der Fläche von 16 Fußballfeldern – wertvoller Wiesen und Äcker für Straßen, Siedlungen, Shoppingcenter und Industriehallen „dramatische Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgungssicherheit“ habe: Wir zerstören in Österreich jährlich durch Verbauung 4200 Hektar Agrarfläche. Das kommt einer Menge von 25,2 Millionen kg Brot­getreide pro Jahr gleich – und betrifft den jährlichen Brotbedarf von 300.000 Österreichern, also etwa der Einwohnerzahl des Burgenlands.

Kleinere Haushalte, größere Häuser
Ziehen wir den Fokus auf: Das Einfamilienhaus ist zwar die in Österreich beliebteste Wohnform, aufgrund der „urbanen Struktur“ fällt dessen Anteil in Wien jedoch „eher gering“ aus, heißt es im aktuellen Wohnungsmarktbericht von EHL und BUWOG. Diese Zahlen verdeutlichen das „Stadt-Land-Gefälle“ in Österreich: In Wien gibt es insgesamt 926.000 Hauptwohnsitze (Quelle: Statistik Austria), wovon lediglich 55.000 (5,9 Prozent) zum Bereich Hauseigentum zu zählen sind. Österreichweit dürfen wir 4.019.000 Hauptwohnsitze annehmen, das Segment Hauseigentum beläuft sich hier schon auf 1.483.000, was mehr als einem Drittel (genau: 37 Prozent) entspricht. Oder, anders gesagt: In Wien lebt jeder Zwanzigste im Eigentum, in „Rest-Österreich“ jeder Dritte.
Trotz der großen Beliebtheit des Einfamilienhauses in Österreich geht der Trend gemäß Wohnungsmarktbericht 2023 zu kleineren Haushalten ungehindert weiter: 2021 lag die durchschnittliche Haushaltsgröße bei 2,19 Personen. Die Zahl der Privathaushalte wird – hier wieder laut Prognose der Statistik Austria – im Jahr 2050 die stattliche Zahl von 4,5 Millionen erreichen, und der Anteil der Einpersonenhaushalte wird bis zur Jahrhundertmitte schon auf 41,5 Prozent gestiegen sein. Man darf hier getrost von einem gesellschaftlichen Trend zur Vereinzelung sprechen – vorwiegend in der Stadt, wohlgemerkt.
Die durchschnittliche Einfamilienhausgröße hingegen sei grosso modo „massiv angewachsen“, so der FH-Dozent Amann. Vor der Jahrtausendwende – also etwa: vor einer Generation – sei die Durchschnittsgröße eines Einfamilienhauses noch bei rund 130 Quadratmetern gelegen, 20 ­Jahre später eher bei 180 Quadratmetern –
auf einer Fläche, auf der im Schnitt drei Personen lebten.

NÖ: Prototypisches Eigentümerland
Niederösterreich gilt als prototypisches „Bundesland der Eigentümer“. „Was könnte die Bundeshauptstadt Wien von Niederösterreich lernen?“, fragten wir Johannes Wild, seines Zeichens Obmann der Wirtschaftskammer NÖ der Fachgruppe der Immobilien- und Vermögenstreuhänder. Wild antwortet: „Ein wesentlicher Unterschied zwischen Wien und Niederösterreich sind die Grundlagen und die Ausrichtungen der Wohnbauförderungen.“ Er konkretisierte: „Die Vergabe von Wohnraum durch gewerbliche Bauträger ist in Wien auf Vermietung und in Niederösterreich auf Eigentum ausgerichtet.“

„Zukunftsfit und Oma-tauglich“
Wieder Amann: „Die meisten Eigenheime sind groß bis riesig.“ Für viele ältere Besitzer bestehe nach Auszug der Kinder eher die Herausforderung, wie mit dem vielen Platz umzugehen, wie das große Haus in Schuss zu halten sei. „Wenn die Oma dann einziehen soll, geht es an die Umstrukturierung des Hauses. Denn sie braucht doch etwas mehr Platz, als ein vormaliges Kinderzimmer bietet, vielleicht auch ein eigenes Bad. Oft wird man keine baurechtlich eigenständige Wohnung errichten, sondern nur ein größeres Zimmer mit eigenem Bad.“
Barrierefreiheit sei eine große Herausforderung, so Amann, denn der freie Platz sei meistens im Obergeschoß. „Da kann man sich, wenn es einmal so weit ist, mit Treppenliften behelfen.“ Ein Oma-Apartment im Keller empfehle sich wirklich nur, wenn ausreichend Tageslicht vorhanden sei, etwa in Hanglage. Spannend sei freilich auch, für die Oma ein eigenes Mikrohaus im Garten aufzustellen. Es seien auch Lösungen ohne Baubewilligung möglich, fasst der Immo­bilienexperte zusammen.

Merklicher Attraktivitätsschwund
Seit dem Jahr 2019 schrumpft der Einfamilienhausmarkt in Österreich, wie es im aktuellen RE/MAX Immobilienspiegel heißt – im ersten Halbjahr 2022 sogar auf das niedrigste Niveau seit 2014. Mit 4633 Kaufakten fehlten auf den Vorjahresvergleichszeitraum österreichweit 130 Einheiten oder -2,7 Prozent, auf das Spitzenjahr 2018 sogar -1286 Häuser (-21,7 Prozent). Dazu RE/MAX-Geschäftsführer Bernhard Reikersdorfer: „Dass ein Einfamilienhaus für viele Österreicher der absolute Wohntraum ist, ist bekannt. Die Nachfrage hat sich mit der Pandemie nochmals verstärkt, der Trend zu Homeoffice und Wohnen im Grünen war besonders stark ausgeprägt.“ Rei­kersdorfer: „Aufgrund von stark steigenden Lebenshaltungskosten, einer Inflation so hoch wie schon lange nicht mehr, der steigenden Zinsen und der Verschärfungen bei der Kreditbeschaffung ist die Anzahl der Einfamilienhausinteressenten, die sich einen Kauf auch leisten können, deutlich zurückgegangen.“ Gleichzeitig steige seit Monaten das Angebot: Das werde dazu führen, dass es zu einer merklichen Entspannung bei den Einfamilienhauspreisen komme. In der Bedeutung für den Immobiliengesamtmarkt sind die Einfamilienhäuser bei der Anzahl vom 2013er-Rekordanteil an den Verbücherungen von 10,4 Prozent auf 6,2 Prozent gesunken. Der österreichweite Einfamilienhauspreis betrug im Vorjahr typischerweise im Mittel 347.000 Euro, was einen Zuwachs im Fünfjahresvergleich von 55 Prozent bedeutet.

„Resonanzräume auftun“
In einigen Siedlungen könnten sich auf kleinem Raum verdichtete Flachbauten herauskristallisieren, prognostiziert Amann. Mehrgeschoßige Wohnbauten könnten zudem mehr Möglichkeiten für die eigene Gestaltung bieten – sogar zum Selbstbau. So könnten etwa Wohnungen im Rohzustand übergeben und nach Anleitung selbst ausgebaut werden.
In diesem Zusammenhang fällt einem natürlich sofort der Begriff „Verdichtung“ ein: Bestehende Einfamilienhäuser könnten also verdichtet werden – einige werden zu Mehrparteienhäusern; andere werden umgewandelt: in sogenannte Mikroapartments. Diese haben ein eigenes Bad und eine Kochnische, dafür wandern die Wohnzimmer eher hin zu Gemeinschaftsbereichen, wo man sich eine große Küche, auch ein großes Esszimmer quasi teilt, und im gemeinsamen Garten lässt sich obendrein Erholung finden. In gemeinschaftlichen Wohnformen können sich Erwachsene die Hausarbeit besser aufteilen, junge Familien bekommen Hilfe bei der Kinderbetreuung angeboten und betagte Menschen leben nicht mehr in Isolation. Wie der Soziologe Hartmut Rosa meint: „Mein Maßstab für gutes Leben ist Resonanz.“ 

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