Haus+Wohnen 2023 Haus + Wohnen

Eine Frage des Blickwinkels

© Christa Engstler
Viel Wohnraum auf wenig Fläche: Einfamilienhaus in Feldkirch von mitiska wäger architekten
© Christa Engstler

Ein Kind, ein Baum, aber ein Haus? Wie bei den meisten Dingen des Lebens gibt es zwei Medaillenseiten. Auch wenn in Zeiten wie diesen vom Bau eines Einfamilienhauses abgeraten wird, so gibt es gute Strategien, die aus einem Hausbesitzer keinen Umweltsünder, sondern einen Nachhaltigkeitsbefürworter machen.

von: Barbara Jahn

Das Einfamilienhaus steht schon lange in der Kritik und die wird tendenziell nicht leiser: Ressourcenverschwendung, Flächenvernichtung, Landschaftszerstörung sind nicht seltene Bezeichnungen, die die meistgewünschte Wohnform der Menschen in ein negatives Licht stellen. Selbstverständlich ist es zeitgemäß und absolut angebracht, den Tatsachen ins Auge zu sehen und die bisherige Vorgangsweise ernsthaft zu überdenken. Dabei müssen alle Beteiligten in die Pflicht genommen werden – allen voran die Politik, die Raumplanung, die Architekten, aber auch der Konsument, der seine Wünsche und Träume umsetzen möchte.

Status quo
Wie so oft kommt es auf das „Wie“ an. Es braucht aber auch einen klaren Rahmen, innerhalb dessen man sich bewegt und der lückenlos verhindert, dass es Schlupflöcher und die berühmten Ausnahmen von der Ausnahme gibt. Und das bedeutet eben nicht zwangsläufig das Ende des Einfamilienhauses. Was es braucht, sind Umdenken und Neuorientierung. Sieht man sich die Fakten an, dann ist das Einfamilienhaus keineswegs nur ein Phänomen auf dem Land. Auch in den Städten gibt es einen erheblichen Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern, der oft nicht wahrgenommen wird. Viele dieser Häuser datieren aus den Boomer-Jahren zwischen 1950 und 1970 und sind deshalb in die Jahre gekommen, entworfen nach einem anderen Anspruch und stark ausgerichtet am Auto. Allein hier liegt viel Potenzial, idealerweise in der Neubespielung und Neukonzeption, aber auch – wenn es ein hoffnungsloser Fall ist – in der Neubebauung, im Zuge derer man ohnehin gleich stärker nachverdichten könnte, ohne den Charakter der Umgebung an sich zu sehr zu verändern. Die Frage bleibt, wie viel Wohnraum man tatsächlich braucht und ob man vielleicht bereit ist, weniger Fläche zugunsten von mehr Grünraum zu bevorzugen und dieses Idyll vielleicht sogar zu teilen. Eine Option, mehr nicht.

Denkanstoß
Machen wir einen Blick über die Grenze in die Schweiz, die aufgrund der topografischen Gegebenheit tatsächlich bereits an die Grenzen der Ortsausdehnung gestoßen ist. Die Ortsränder sind festgesetzt, darüber hinaus geht es nicht mehr. Eine Tat­sache. Die jungen Architekten studieren mit dem Bewusstsein, dass ein echter Neubau eher die Seltenheit bleiben wird. Und dennoch sehen sie enormes Potenzial, wie etwa Pascal Marx von Ruumfabrigg, ein Absolvent der ETH Zürich, der mit seinem Team bei den meisten seiner Projekte das nimmt, was schon da ist, und das Vorhandene weiterentwickelt. Warum er so agiert? Weil die ETH viel mehr Denkschule ist als Architekturschule und damit den Blick über den Tellerrand erleichtert, anstatt in gelenkten Bahnen weiterzumachen, wo andere aufgehört haben.
Was bei ihm immer dazugehört, sind die sogenannten Ortsspaziergänge, die er mit seinen Auftraggebern macht, um ein tiefes Bewusstsein dafür zu schaffen, ob das, was man sich wünscht und vorhat, auch mit dem vereinbar ist, was bereits existiert und den Bauplatz und dessen Umgebung prägt. Manchmal verschieben sich dann die Perspektiven, was oft zu noch besseren Resultaten führt. Gerade die Bauten der 1950er-, 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre lassen sich für Pascal Marx gut identifizieren. Danach war vieles anders: „Die 90er- und die Nullerjahre kann man auch anhand dessen erkennen, dass – polemisch gesagt – sehr viel sehr schlecht gebaut wurde. Aber diese Erkenntnis hat den positiven Effekt, dass wir heute wieder materialgerechter bauen. Es ist wohl kein Stil, aber eine Strömung. Was in der Schweiz sicher auch dazu beigetragen hat, ist die Vorarlberger Architekturströmung Bregenzer Wald mit der Idee des lokalen Holzbaus und dem Ansehen des ortsansässigen Handwerkers.“ Der Umgang mit vorhandener Bausubstanz kann seiner Ansicht nach ganz unterschiedlich sein. Man solle sensibel sein, sich aber nicht einengen lassen, wenn es nicht nötig ist. Auch hier ist Weiterdenken seine Devise: „Ich bin Teilzeit im Kanton Schwyz bei der kantonalen Denkmalpflege engagiert, und da stehen die Substanz, deren Erhalt, Pflege und Restaurierung im Mittelpunkt. Bei der Ruumfabrigg haben wir noch nie ein Schutz­objekt umgebaut. Wir sind unterschiedlich mit der Substanz umgegangen – einmal belassen, einmal ausgehöhlt, einmal verändert, einmal abgebaut oder verstärkt – je nach Zustand der Substanz. Ich denke, wenn es keine Schutzobjekte sind, darf man durchaus radikal sein.“

Lösungsansatz
Denkansätze, deren Überzeugung auch für Österreich ansteckend sein könnten. Aber zurück zum Neubau. Im oberösterreichischen Vorchdorf hat die Etzi-Group ein nachhaltiges Einfamilienhausmodell entwickelt, das nicht nur per se nachhaltig und energieeffizient ist, sondern auch auf eine flächenoptimierte Bebauung achtet. Sauberer Storm aus Photovoltaik und neue Energietechnologien gehören ebenso dazu wie langlebige Produkte und heimische Wertschöpfung aus der Region. Doch es geht noch weiter: Die Wohnanlagen, die beispielsweise Regenwasser für Gartenbewässerung, WC-Spülung und Wäschewaschen vorsehen und sich für E-Mobilität bestens vorbereiten, achten etwa mit einem Ringstraßensystem und einem Car­sharing-Angebot darauf, dass möglichst wenige Flächen versiegelt werden. Begrünte Dächer sowie Retentionsbecken oder Sickermulden sorgen für Lebensraum für Insekten und Bienen sowie Brutstätten für Vögel (siehe Kasten unten). Auf diese Weise wird hier engagiert versucht, zwischen menschlichem Wohnraum und Natur die Balance zu halten.
Auf Gesamtenergieeffizienz im Jahreszyklus, saubere Solarenergie und erneuerbare Energietechnologien, gesunden Boden, Biodiversität und langlebige wiederverwertbare Produkte mit Fokus auf Regionalität und Kreislaufwirtschaft setzt auch die Initiative Brick Bauhaus 2050 vom Verein zur Förderung des klimaneutralen Bauens in Österreich. In enger Zusammenarbeit mit Experten für Bau- und Energietechnik werden Lösungen für klimaneutrale Gebäude unter Betrachtung des gesamten Lebenszyklus und anhand der Bedürfnisse der jeweiligen Akteure erarbeitet. Maßgeblich begleitet wurde diese Initiative des IBRI, dem Institute of Building Research & Innovation. Senior Researcher Philipp Stern erklärt die Zukunftsszenarien für Baustoffe anhand des Ziegelhauses 2050: „In diesem Projekt schaffen wir die Grundlagen für zukunftsorientierte Ziegelbauten. Mit den drei Nachhaltigkeitszielen Ökonomie, Ökologie und soziale Nachhaltigkeit schauen wir, dass der Ziegel sein volles Nachhaltigkeitspotenzial ausschöpfen kann, um Gebäude zukunftsfit zu machen. Wir haben dazu jeweils drei Ziegelqualitäten definiert – es geht darum, den Baustoff in die Zukunft mitzunehmen. Damit das gelingen kann, ist es wichtig, mit Menschen zu sprechen, die in der Ziegelproduktion tätig sind und den Ziegel weiterentwickeln können.“ In das Forschungsprojekt fließen sehr viele Ergebnisse aus anderen Forschungsprojekten des Instituts mit ein, etwa aus dem Projekt „Wie wir wohnen wollen“, da dieses sehr nah an der Planung dran ist. Daraus werden wieder neue Erkenntnisse geschöpft. Ein weiterer Schritt ist die Erstellung eines Musterkatalogs, der für Planung und Projekte genutzt werden kann. „Das bietet die Chance, die Themen, die wir schon seit mehreren Jahren behandeln, auch wirklich in die Realität umzusetzen. Zum Beispiel im Bereich der Klimaresilienz gibt es viele Maßnahmen und Technologien, die wir erforscht haben und jetzt zur Praxis bringen können. Dazu gehören unter anderem ventilative Nachtkühlung, Schutz der Artenvielfalt und Biodiversität – da gibt es ganz klare Kriterien, die wir für das Ziegelhaus 2050 definiert haben und die genau eingehalten werden müssen, damit es dann auch ein Ziegelhaus 2050 werden kann.“ Philipp Stern betont, dass es nicht nur am Material Ziegel festgemacht werden muss. Die Sache selbst zählt: Es soll am Ende ein gutes, zukunftsfähiges Haus entstehen.

Realitätsbezug
Sollte dennoch die Bereitschaft da sein, einem bestehenden Gebäude eine zweite Chance zu geben und damit einen wertvollen Beitrag zum Wertstoffkreislauf ohne neue Eingriffe in die Landschaft und im Sinne der Nachhaltigkeit leisten zu wollen, so empfiehlt sich die in Kooperation der ARGE Baugewerbe NÖ verfasste Studie zur Forcierung der thermisch-energetischen Sanierung von Einfamilienhäusern des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW). Darin enthalten ist ein Schlüssel für die Dekarbonisierung des Gebäudesektors, der Mut macht, sich für eine Sanierung zu entscheiden. Mit dem vorgeschlagenen Projekt werden Barrieren analysiert, Strategien zu deren Überwindung entwickelt und Umsetzungsschritte angegangen. 

„Wohnfläche, grün und leistbarkeit“
Trotz der überhöhten Gesamtbaukosten durch Grundstück plus Haus und der gestiegenen Kreditzinsen ist der Wunsch nach Eigentum bei den Österreicherinnen und Österreichern nach wie vor sehr hoch. Die Pandemie hat das sogar noch verstärkt: Weg von der Miet- oder Eigentumswohnung hin zu einem Ein- oder Doppelhaus, zum eigenen Grundstück, der großzügigen Terrasse.
Wollte in den letzten zwanzig Jahren noch jeder sein „Traumhaus“ planen und bauen, hat sich dies im letzten Jahr geändert. So spielt für mehr als 80 Prozent unserer Kunden die Architektur jetzt nur noch eine Nebenrolle: Größe der Wohnnutzfläche, eine überdachte großzügige Terrasse, eine kleine Grünfläche und vor allem die Leistbarkeit sind nun die entscheidenden Faktoren. Aber auch die Investition an sich, die enormen Lebenserhaltungskosten sowie die Betriebskosten eines Hauses sind ausschlaggebend. Den Hausbesitzern ist es wichtig, sich neben dem Eigentum auch noch Urlaube und Freizeitaktivitäten leisten zu können.
Alle diese Aspekte wurden in unserem Konzept der energieautarken Siedlung, dem ETZI-Energypark (Bild oben), berücksichtigt. Hier sehe ich das größte Potenzial für die Zukunft für Ein- und Doppelhäuser und vor allem für Systemhäuser. Einzig der betuchte Häuslbauer, der keine Geldpro­bleme und -sorgen hat, setzt weiterhin auf individuelle Planung und Architektur. Prozentuell sind dies nicht einmal 10 Prozent aller Hausbauer. 

 

„Nachhaltigkeitskriterien vereinheitlichen“
Massive Baustoffe wie Ziegel und Beton punkten mit ihrer hohen Speichermasse, durch deren ausgleichende Wirkung auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit ein andauernd angenehmes Raumklima entsteht. Im Winter wird die Sonnenenergie aufgenommen und wirkt wie ein Kachel­ofen. Im Sommer verhindert die Speichermasse eine Überhitzung.
Massiv gebaute Häuser leben viele Generationen lang und sind eine beständige Wertanlage. Immobilienmakler stellen fest, dass auch der Wiederverkaufswert eines massiven Gebäudes deutlich über dem Wert von Gebäuden in Leichtbauweisen liegt und dass dieser mit der Errichtung eines Kellers bis zu einem Drittel höher ist als jener für Objekte, die nicht unterkellert sind.
Bei der Errichtung und Sanierung von Gebäuden müssen die günstigen Eigenschaften von Baustoffen technologieneutral eingesetzt werden. Es darf bei den Wohnbaufördermodellen der Bundesländer nur einen Maßstab für die Baustoff­entscheidung geben, nämlich ob die Anforderungen an die Nachhaltigkeit erfüllt sind. Diese Kriterien sind bundesweit zu vereinheitlichen, zudem sollten Lang­lebigkeit, Ressourceneffizienz und Kreislauffähigkeit von Baustoffen in die Vorgaben der Wohnbauförderung einbezogen werden. 

 

„Grünflächen bleiben erhalten und dienen als Rückzugsgebiet“
Das Eigenheim steht ganz oben auf der Liste der bevorzugten Wohnformen der Österreicher. Und viele können sich diesen Wunsch auch erfüllen, vor allem in den semiurbanen und ländlichen Regionen. Die möglichst gute Übereinstimmung der Wünsche der Nachfrager mit dem Angebot führt aber nicht nur zu individuell hoher Zufriedenheit, sondern gilt auch als volkswirtschaftlich besonders effizient.
Die Errichtung von jährlich 16.000 bis 18.000 Eigenheimen in Österreich und die Sanierung von annähernd ebenso vielen Häusern bedeutet einen immensen wirtschaftlichen Impuls, der vor allem den semiurbanen und ländlichen Regionen zugutekommt. Der Bauwirtschaft fließt dadurch ein Produktionswert von jährlich sechs bis acht Milliarden Euro zu. Dies sind ca. ­25 Prozent des Gesamtbauvolumens in Österreich (von ca. 30 Milliarden)! Im ländlichen Raum ist das Eigenheim außerdem nach wie vor die wichtigste Wohnform auch für einkommensschwache Haushalte. Die Leistbarkeit ist vor allem bei Bestandsbauten gut.

Zersiedelung und Bodenverbrauch
Die Zersiedelung nimmt in vielen Regionen Österreichs ein großes Ausmaß an. Die bebaute Fläche eines Eigenheimgrundstücks ist allerdings wesentlich geringer als das Gesamtgrundstück und dies wird in der Statistik nicht erfasst. Die Grünflächen bleiben erhalten und werden höherwertig (Biodiversität, Kleinraum­klima) durch eine große Bandbreite an wechselnden Bepflanzungen im Jahres­zyklus genutzt. Diese höherwertige Nutzung bietet wesentliche Vorteile für die Bienen, Insekten, Vögel und ist ein essenzielles Rückzugsgebiet gegenüber einer monotonen Landwirtschaft oder Waldwirtschaft und bildet einen wichtigen klein­klimatischen Ausgleich (Beschattung, Feinstaubbindung). Das Eigenheim hat wegen seines größeren Oberflächen-­Volumen-Verhältnisses und der Grundstücksflächen die Möglichkeit, Umwelt­energien in besonders hohem Ausmaß zu nutzen. Dies kann bis zu 100 Prozent oder bis zur Autarkie durch Nutzung der Sonnen­energie für Wärme (Heizung und Warmwasser) und Strom (PV) gehen. 

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