Ein Ort zum Nachdenken
Der Siegerentwurf der dänischen Architektin Dorte Mandrup fasst den früheren Haupteingang des Bahnhofs durch eine bogenförmig geschwungene Front ein. So wird die Bedeutung des Ortes gleichzeitig baulich als auch symbolisch integriert. Dorte Mandrup sieht in der Portalruine eine Doppelbedeutung. Sie steht für die Weimarer Republik wie für den folgenden Naziterror: „Das Fragment des ehemaligen Anhalter Bahnhofs zeugt ebenso vom liberalen, weltoffenen Berlin der 1920er-Jahre wie auch von der unvorstellbaren Zerstörungskraft des NS-Terroregimes.“
Das neue Exilmuseum soll das Fragment als Ausgangspunkt der historischen Ebene respektieren. „Dem Entwurf liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Millionen gelber Ziegel, die nach dem Abriss des Anhalter Bahnhofs das Gelände bedeckten, sich in eine sanft geschwungene Bogenform verwandelten“, heißt es in der Projektbeschreibung. Der ehemalige Bahnhof wird nicht ersetzt. Das neue Gebäude ist eigenständig und wird nicht in einen kontinuierlichen historischen Verlauf eingebunden. Vielmehr soll sich ein Dialog entwickeln. Architektonisch wird dies durch den geschwungenen Gebäudeumriss angeregt, durch den das Publikum von beiden Seiten in einer quasi natürlichen Bewegung zwischen historischem Fragment und Neubau direkt zum Eingang in der Mitte des neuen Vorplatzes geleitet wird.
Die Formensprache der ursprünglichen Bahnhofsarchitektur mit Bögen, Brücken und Toren findet Widerhall in Mandrups Entwurf, wird aber modern interpretiert. Mit der geschwungenen Fassade wird ein Rahmen zur Kontextualisierung der Ruine geschaffen. „Die reliefartige, horizontal gegliederte Ziegelfassade öffnet sich im Erdgeschoß einladend zu allen Seiten des Gebäudes“, lobte die Jury. Durch ein Drehen der Ziegelsteine entstehen Öffnungen in der schweren Fassade, wodurch sich im Inneren ungewöhnliche Lichteffekte ergeben.
Verbindung zwischen den Epochen
„Die weit gespannten, verglasten Bögen heben die geschlossene Mauer quasi vom Erdboden empor und schaffen brückenartige Situationen, die zum Betreten des Gebäudes einladen. Die lichtmodulierenden Öffnungen in den Obergeschoßen geben Ein- und Ausblicke frei und versprechen interessante kuratorische Möglichkeiten“, heißt es weiter in der Jurybegründung. Die Einblicke durch die Glasfassade ins Innere erlauben den möglichen Besuchern, sich in Ruhe vorzubereiten und zu entscheiden, ob sie das Museum betreten wollen. Dorte Mandrup hat den Weg von der Ruine in das Museum dem Weg nachempfunden, „wie sich die Menschen durch den Säulengang in das Eingangsgebäude und weiter auf die Gleise bewegten – er führt die Besucher auf denselben Weg wie diejenigen, die zwischen 1933 und 1945 ins Ungewisse gingen.“
Alle Bereiche werden zentral von der Empfangshalle am Askanischen Platz an der Nordseite des Gebäudes aus zugänglich sein. Zusätzlich zu den thematischen Ausstellungen wird es Raum geben für weitere Bildungseinrichtungen und ein Restaurant. Mithilfe von Rauminszenierungen, Bild- und Tonmaterial, Filmen, Texten und Objekten sollen Ereignisse erfahrbar gemacht werden und einen Eindruck davon vermitteln, was es bedeutet, seinen Lebensmittelpunkt aufgrund von politischem Terror und Anfeindungen aufgeben zu müssen.
Ein weitläufiger freier Platz zwischen dem historischen Gebäudefragment und dem verglasten Foyer des neuen Museums schafft Verbindung zwischen den Epochen. Das Foyer zieht sich über die drei Stockwerke und ist wie der Platz davor mit Kopfsteinpflaster ausgelegt. So bleiben Sichtbeziehungen zwischen innen und außen im gesamten Gebäude bestehen, auch durch die transparente Fassade. Im Inneren umschließt eine Ziegelfassade einen dreistöckigen Luftraum, einen Ort der Reflexion und der Auseinandersetzung.