367 Bauwelt

Experimentelle Wohnformen

Alle Bilder und Pläne: © Architekten
Nordansicht des Areals Berresgasse. Der Wohnbau von archimedia (Mitte) in Bau.
Alle Bilder und Pläne: © Architekten

Mit dem Quartier Berresgasse entstehen in den nächsten Jahren in Wien 3000 neue Wohnungen, der Großteil davon gefördert. Die ersten Bauten feierten, pandemiebedingt mit Verzögerung, Dachgleiche.

von: Roland Kanfer

Bis vor wenigen Jahren sagten sich Füchse und Hasen dort noch „Gute Nacht“, heute sind die ehemaligen Ackerfelder rund um den Badeteich Hirschstetten in Wien­-Donaustadt kaum mehr zu erkennen. Vor allem östlich des Teichs erstreckt sich ein 170.000 Quadratmeter großes Areal, auf dem rund 3000 Wohnungen entstehen. Im Süden wird das Feld von der Berresgasse und im Westen von der Ziegelhofstraße begrenzt. Im Norden und Osten liegen Einfamilienhaussiedlungen und der 2019 eröffne­te Bildungscampus Berresgasse.
Nach einem 2013 durchgeführten ­kooperativen Planungsverfahren und dem darauf folgenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan wurde das Areal in Bearbeitungsgebiete und diese wiederum in Wohnprojekte aufgeteilt, die 2018 in einem Bauträgerwettbewerb (siehe ­ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE 342–1/2019) vergeben wurden. Das erste Gebiet umfasst die am westlichen Rand des Areals liegenden Wohnprojekte 1 bis 5, das zweite die Wohnprojekte 6 und 7 und das dritte die Wohnprojekte 8 bis 10.

Im Artikel der Printausgabe sind uns auf Seite 65 unter der Überschrift "Mitten im Park" zwei Fehler unterlaufen: Die gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Volksbau errichtete nicht 255 Wohnungen, sondern die Sozialbau AG im Auftrag der Volksbau 234 Wohnungen (im anschließenden Projektbericht ist die Zahl richtig genannt). Und die Volksbau gehört nicht zur Sozialbau AG, sie ist Teil des von der Sozialbau verwalteten Verbundes. Wir bedauern den Irrtum.

Drei Wohnbauten – die Bauplätze M, N und O des Projekts 1, das vom gemein­nützigen Wohnbauträger BWS und dessen gewerblichem Tochterunternehmen WBG mit insgesamt 262 Wohnungen bebaut wird, konnten in den letzten Monaten Dachgleiche feiern. Auf Bauplatz M entstehen 58 Wohnungen, geplant von der Architektin Patricia Zacek-­Stadler, auf Baufeld N sind es 101 Wohnungen von Elsa Prochazka gemeinsam mit Syntax Architektur und auf dem Baufeld O hat Architekt Leopold Dungl von Archi­Media 103 Wohnungen mit einem Kindergarten in Bau.

Nutzungsflexibilität
Die Wohnungen auf Baufeld O werden über ein Stiegenhaus erschlossen. Mehr als 60 Prozent davon sind durchgesteckt und nach zwei Seiten hin orientiert. Jeder Wohneinheit ist ein privater Freiraum zugeordnet. Die Freiflächen bestehen zum größten Teil aus geförderten Loggien, der Rest aus Balkonen. Die Neben- und Aufenthaltsräume der jeweiligen Wohnungen sind so dimensioniert, proportioniert und erschlossen, dass sie dem Prinzip der größtmöglichen Nutzungsflexibilität entsprechen und die Einrichtung somit problemlos über Norm- und Standardmöbel erfolgen kann. Ein Gemeinschafts- und Kinderspielraum verbindet das Wohnhausfoyer mit dem Innenhof und dem Fahrradraum.

Trennung der Bereiche
Für den von Zacek-Stadler bespielten Bauplatz M gaben die Bebauungsbestimmungen einen Hochpunkt von 20 Metern, kombiniert mit einem neun Meter langen Trakt zum Leherbweg sowie anschließenden Ost-West-orientierten 14 Meter langen Gebäudeteilen vor. Diese verschiedenen Bauteile verbinden sich über Wege und Gänge als Erschließungszone im Inneren, die Dächer können als Dachterrassen für alle genutzt werden. Als nördlicher Abschluss des Grundstücks zum Park hin dient eine Hofbebauung. Das Erdgeschoß ist höhergesetzt, wodurch die Freibereiche, Balkone und Loggien sich über das öffentliche Grün erheben. So ergibt sich aus der Baukörperkonfiguration eine natürliche Trennung der öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereiche. Im Norden, am Leherbweg, liegt eine durchgehende Gemeinschaftszone mit differenzierten Raumhöhen, einem Mehrzweckraum mit Küche, Spiel- und Aufenthaltsbereich sowie mit Kinderwagen- und Fahrradräumen. In den Obergeschoßen werden die Erschließungsbereiche umlaufend geführt. Im zweiten Obergeschoß befindet sich eine begrünte Dachfläche, die als Kleinkinderspielbereich ausgebaut ist, im vierten OG gibt es eine zweite Dach­terrasse für die Bewohner.

Spannung ohne Unruhe
Die von Elsa Prochazka und Syntax geplanten Baukörper auf Bauplatz M sind auf zwei-, vier- und sechsgeschoßige Bauteile verteilt. Die versetzten, farblich akzentuierten Balkone und Fenster erzeugen Spannung, ohne unruhig zu wirken. Die all­gemeine Erschließung ermöglicht Außen­bezug und ist natürlich belichtet.
Beide Gebäude besitzen eine zweigeschoßige Sockelzone mit Geschäftsflächen: einen Supermarkt, Co-Working-Space, Gemeinschaftswerkstatt und weitere anmietbare Flächen. Jedes Gebäude hat im Erdgeschoß eine eigene Lobby und Zugang zu Radabstellplätzen.
Die Gemeinschaftsterrasse im zweiten Obergeschoß soll als Begegnungsort dienen. Auch einen Kleinkinderspielbereich gibt es auf der Dachterrasse. Weitere gemeinschaftliche Räumlichkeiten für Erwachsene und Jugendliche sind eine große Grünfläche mit Kletternetz, Spielflächen und Tischtennistische. Die Besiedlung der Wohnhausanlage wird durch ein Team der Caritas Stadtteilarbeit vor Ort begleitet.

Neue Wohnformen
Die IBA Wien 2022, die sich das „neue sozia­le Wohnen“ als Motto gewählt hatte, erkor das Quartier Berresgasse zu einem ihrer Vorzeigeprojekte. Hervorgehoben wurden die experimentellen und neuen Formen des Wohnens aller Bauprojekte. An der Abstimmung der Bauträger zur Nutzung der wichtigen Erdgeschoßzonen war die IBA_Wien maßgeblich beteiligt. 

Projekt
Wohnbau Berresgasse, Wohnprojekt 1/Stadt Land Badeteich, Berresgasse/Ziegelhofstraße, 1220 Wien

Bauherr
BWS Gemeinnützige allgemeine Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft, registrierte Genossenschaft m.b.H. / WBG Wohnen und Bauen, Gesellschaft m.b.H., Wien

Statik
Harrer & Harrer ZT GmbH, Wien

Landschaftsplanung
Carla Lo, Wien

Projektdaten
262 Wohnungen:
103 geförderte Mietwohnungen
58 geförderte Eigentumswohnungen
101 freifinanzierte Eigentumswohnungen

Wettbewerbsdokumentation
ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE 1/2019 (342)

Baufeld O
Otto am Park, Berresgasse 3, 1220 Wien

Architektur
ArchiMediaZT GmbH, Wien

Generalunternehmer
ARGE WHA Berresgasse BerresgasseTraunfellner–Voitl, Wien

Projektdaten
Grundstücksfläche: 4575 m²
Bebaute Fläche: 3070 m²
Nutzfläche: 8698 m²
Bruttogeschoßfläche: 12.104 m²
103 Wohnungen, davon 35 SMART-Wohnungen

Projektablauf
Wettbewerb 09/2018
Planungsbeginn 03/2017
Baubeginn 06/2021
geplante Fertigstellung 06/2023

Materialien
Außenwände:Stahlbeton
Innenwände: Gipskartonständerwände (Knauf)
Fassade: VWSF Silikatputz
Wärmedämmung: Mineralwolle und EPSF-Plus
Fenster/Türen: Kunsstofffenster (Felbermayer)
Bodenbeläge: Laminat, Feinsteinzeug
Beleuchtungskörper: LED
Sanitärgegenstände: Keramik
(Ideal Standard, Duravit)
Aufzug: Schindler

Baufeld M
Gartenhof am Park, Edith-Kramer-Weg 6, 1220 Wien

Architektur
Patricia Zacek-Stadler, Wien

Generalunternehmer
Voitl & Co BaugesmbH, Wien

Projektdaten
Grundstücksfläche: 2925 m²
Bebaute Fläche: 1796,81 m²
Nutzfläche: 5740,29 m²
Bruttogeschoßfläche: 7061,78 m²
58 geförderte Eigentumswohnungen

Projektablauf
Wettbewerb 09/2018
Planungsbeginn 05/2017
Baubeginn 09/2019
geplante Fertigstellung Sommer 2023

Materialien
Außenwände: Stahlbeton
(Bau Beton GmbH)
Fassade: VWSF Silikatputz
Wärmedämmung: EPS F PLUS (Austrotherm)
Fenster/Türen: Kunsstofffenster (Felbermayer)
Bodenbeläge: Laminat, Feinsteinzeug
Beleuchtungskörper: LED
Sanitärgegenstände: Keramik (Ideal Standard, Duravit)
Aufzug: Schindler

Baufeld N
Niki mittendrin, Edith-Kramer-Weg 4/Emilie-Bach-Weg 3, 1220 Wien

Architektur
Architekturbüro Elsa Prochazka, Wien, in Koop. mit Syntax Architektur ZT GmbH, Klosterneuburg

Projektdaten
Grundstücksfläche: 4680 m²
Bebaute Fläche: 3220 m²
Nutzfläche: 6958 m²
Bruttogeschoßfläche: 10.153 m²
101 Wohnungen, davon 34 SMART-Wohnungen

Projektablauf
Wettbewerb 09/2018
Planungsbeginn 09/2018
Baubeginn 08/2021
geplante Fertigstellung 06/2023

Materialien
Außenwände: Stahlbeton
Fassade: WDVS Verputz farbig (Baumit)
Sockel: Aluminiumverbundplatten Alucubond A2, verschiedene Farben
Wärmedämmung: EPS und Steinwolleplatten bzw. -riegel
Fenster/Türen: Kunsstofffenster/ Stahlzarge+Holztürblatt/ Rohrrahmentüren
Bodenbeläge: außen Betonplattenbelag, Betonlattenbelag (Friedl)/ Rasen
Beleuchtungskörper: Toledo Flat round (RZB), Mari LED (Elux)
Sanitärgegenstände: WC Eurovit (Ideal Standard), Waschbecken (Duravit und Ideal Standard), Armaturen Kludi, Badewanne+Brausegarnitur (Alva Aqua Sana)
Aufzug: Schindler

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