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Gekrümmte Oberflächen

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Die gewölbten Decken im IOC-Hauptsitz erforderten eine Neigung der Decken­schalung um 16 bis 20 Prozent.
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Spezielle Schalungsformen werden im dreidimensionalen Bauwerksmodell konzipiert. Auch ganze Gebäude können vom digitalen 3D-Modell direkt in den Betondrucker transferiert und realisiert werden.

Mit seiner dynamischen, geschwungenen Fassade wirkt der neue Hauptsitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Genfer See aus jedem Winkel anders und vermittelt die Energie eines Athleten in Bewegung. Entworfen wurde das Gebäude vom dänischen Architekturbüro 3XN gemeinsam mit lokalen Architekten. Wer das Gebäude betritt, über dem erscheinen die Galerien der oberen Stockwerke als fünf olympische Ringe, die sich drehen und ineinander verschlingen. Zudem fallen die gewölbten Decken im Erdgeschoß auf, die mit einer fließenden Bewegung in Richtung Boden laufen und dort direkt abschließen. Dieser Übergang erforderte eine Neigung der Deckenschalung um 16 bis 20 Prozent. Die vier gewölbten Decken finden sich an jeder Seite des Gebäudes und sind in ihrer Form sehr unterschiedlich. Daher musste die konventionelle Trägerschalung dieser Decken jeweils individuell abgestützt werden. Durch Verwendung eines Traggerüstsystems mit verstellbaren Diagonalkreuzen konnten sowohl der Stützenabstand als auch die Stützenhöhe den individuellen Anforderungen angepasst werden, ohne die Standsicherheit zu beeinflussen. Zusätzlich unterscheiden sich die geschwungenen Umrisse der Decken auf jedem Stockwerk. Um die komplexen Grundrisse abzubilden, war eine flexible Elementschalung nötig, die sich rasterunabhängig an die verschiedenen Grundrisse des Gebäudes anpassen und Ausgleiche – gerade um die Ringe herum – minimieren konnte.

Dreiachsige, geschwungene Oberflächen
Architektonisch anspruchsvoll war auch die Schalung einer geschwungenen, halb gewendelten Treppe mit Zwischenpodest im neu errichteten Hauptsitz der Sächsischen Aufbaubank (SAB) in Leipzig. Sie bildet den Aufgang von der Tiefgarage ins Foyer und ist auf einer Tragwand aufgesattelt. Die Oberfläche der Innenseite war zudem als Sichtbeton auszuführen. Durch eine entsprechen­de Nachbehandlung mittels Sandstrahlen sollte eine weitestgehend hohlraumfreie und farblich homogene Oberfläche hergestellt werden. Diese geometrischen und optischen Anforderungen stellten einen hohen Anspruch an das dafür konzipierte Schalsystem dar. Im ersten Schritt wurden die verschiedenen Oberflächen entsprechend ihrer Komplexität kategorisiert: Einachsige, geschwungene Oberflächen mit zylindrischen oder konischen Formen konnten konventionell wirtschaftlich geschalt werden. Ein besonderes Merkmal der Treppe war jedoch eine dreiachsig gekrümmte Oberfläche im Bereich des gerundeten Überhangs hin zur Wandseite. In Zusammenarbeit mit der voxeljet AG, einem Anbieter von 3D-Drucksystemen für den industriellen Einsatz, wurde in einem additiven Fertigungsverfahren eine spezielle Schalhaut für die Sonderschalung hergestellt. Ausgangspunkt war ein CAD-Modell: Die sieben Schalhautteile wurden zuerst virtuell mit einem sehr hohen Detaillierungsgrad geplant. Anhand dieser Spezifikationen wurden im sogenannten Powder-Binder-Jetting-Verfahren die Schalhautteile in einer Wandstärke von nur 21 Millimetern hergestellt. Dabei wird eine Partikelschicht, in diesem Fall Sand, in mehreren Schichten hauchdünn aufgetragen und an jenen Stellen mit Harz verklebt, an denen das gewünschte Bauteil entstehen soll. Der Vorgang wird in mehreren Schritten so lange wiederholt, bis das Bauteil fertiggestellt ist. Eine Stützenkonstruktion ist nicht notwendig, loses Material wird danach entfernt. Die 3D-gedruckten Bauteile sind spannungsfrei gefertigt und müssen nur noch mit Epoxidharz infiltriert und anschließend geschliffen und lackiert werden.

Haus aus dem Drucker
Direkt aus dem 3D-Betondrucker stammt auch ein zweigeschoßiges Einfamilienhaus im nordrhein-westfälischen Beckum. Der verwendete Drucker vom Typ BOD2 ist ein Portaldrucker, das heißt der Druckkopf bewegt sich über drei Achsen auf einem fest installierten Metallrahmen. Der Drucker kann sich in seinem Rahmen an jede Position innerhalb der Konstruktion bewegen und muss nur einmal kalibriert werden. Die Konstruktion des Hauses besteht aus dreischaligen Wänden, die mit Isoliermasse verfüllt werden. Während des Druckvorganges berücksichtigt der Drucker bereits die später zu verlegenden Leitungen und Anschlüsse. Manuelle Arbeiten, wie etwa das Verlegen von Leerrohren und Anschlüssen, können einfach in den Druckprozess integriert werden. Mit einer Geschwindigkeit von 1 m/s ist der BOD2 aktuell der schnellste 3D-Betondrucker auf dem Markt. Für eine doppelschalige Wand in der Größe von einem Quadratmeter benötigt er rund fünf Minuten.

Digitales 3D-Modell
Damit der Drucker weiß, welche speziellen Schalungsformen oder ganze Gebäude er produzieren muss, werden sie im digitalen 3D-Modell konzipiert. Das dreidimensionale Bauwerksmodell steht im Mittelpunkt von BIM (Building Information Modelling). Die abgebildeten Bauteile lassen sich dabei nicht nur geometrisch erfassen, sondern besitzen auch beschreibende Eigenschaften. Jedes 3­D-­Modell bedient sich bei einer zentralen Datenbank. Hier finden sich unter anderem alle Schalungskomponenten, die zum Einsatz kommen sollen. Wird in einer dieser Ansichten etwas geändert, hat dies Auswirkungen auf die dahinter­stehende Datenbank und somit auf alle anderen Ansichten und Listen.

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