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Klimanotstand schafft Realitäten

Visualisierung © Patrizia Bagienski
In Wien wird in Zusammenarbeit mit der Stadt das erste „Plus-Energie-Quartier“ errichtet. Am Standort gewonnene Sonnenenergie kann konsumiert, gespeichert oder eingespeist werden.
Visualisierung © Patrizia Bagienski

Neubau für den Klimaschutz kann nicht funktionieren, sagen die einen, während die anderen Quartiere mit erneuerbarer Energie „für das Klima“ bauen.

von: Peter Matzanetz

Mit der frisch sanierten Zentrale in Wien-Josefstadt verbreitet das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW) Aufbruchstimmung in ein neues Zeitalter. „Die Zukunft des Energiemanagements unserer Gebäude liegt in den Bereichen Energieerzeugung, -speicherung und Energieverwendung unter besonderer Berücksichtigung der steigenden Nachfrage nach E-Mobilität“, erklärt Wolfgang Wahlmüller, stellvertretender General­direktor des ÖSW-Konzerns. Den Strombedarf deckt man in der Bürozentrale nun lokal per Photovoltaik und Batterie-Zwischenspeicherung ab. Eine Energiemanagement-Plattform soll, digital optimiert, an die eigenen Standorte demnächst  bedarfs­weise Strom auch verschicken. Die Idee eines „Kraftwerks am Gebäude“ wird Realität. In Wien-Floridsdorf errichtet der Bauträger SÜBA AG demnächst ein ganzes Quartier mit der Ausrichtung, energietechnisch positiv zu bilanzieren. Entwickelt werden neben 220 Wohneinheiten auch Gewerbe- und Büroflächen, ein Kindergarten sowie Serviced Apartments. 5000 Quadratmeter Photovoltaik, Windstromanlagen, Batteriespeicher, 160 Erdwärmesonden, Bauteilaktivierung, spezielle Lüftungskonzepte für die Gewerbeflächen sowie eine hocheffiziente thermische Hülle sollen das ermöglichen. „Die bestmögliche Integration der Photovoltaikanlage erfordert eine intensive und durchgängige Abstimmung zwischen Architektur und Energieplanung“, erklärt Heinz Fletzberger, Vorstand der SÜBA.

 

Einstellung zum Klima im Wandel
Nach langem Vorlauf mit Öko-, Passiv-, dann Plusenergiehäusern sieht es so aus, als ob das nachhaltige Anspruchsdenken an Gebäude nun endlich im Klimaschutz mündet. Die Bundesregierung hat für 2021 die Einführung einer Kohlendioxidsteuer angekündigt, die mit dem Folgejahr voll wirksam sein soll. Damit folgt sie einem Beschluss der Europäischen Union, der gemein­hin als „Green Deal“ bekannt ist, in dem Maßnahmen zur „Klimaneutralität“ verordnet werden. Politische Programme, die das auch aufgreifen, sind zuletzt vielfach geschnürt und mit Zeithorizonten versehen worden, welche in eine doch recht entfernte Zukunft deuten. 2030 lautet die Jahreszahl für ambitioniertere Ziele und 2050 für jene, die schwer oder vielleicht gar nicht erreichbar sind. 2040 hat die heimische Bundesregierung in ihrem Programm verankert, im Sinne der Pariser Klimaziele bei null Kohlendioxid-Emissionen anzukommen.

Das Klima indes geht weiter Richtung Erwärmung und es wird eng. Von der Trendumkehr ist man anscheinend noch ein Stück weg, denn 1,1 Prozent mehr statt weniger an fossiler Energie für Wärme und immer mehr auch für Kühlung in Österreichs Gebäuden wurden von der IG Windkraft zuletzt beanstandet. Die Klimaerwärmung wird laut Europakarte des Deutschen Bundesforschungsministeriums in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Österreich erst einmal die Ostregion heimsuchen. Demnach wird sich die dunkelrote zweigradige Erwärmungszone langsam von Ungarn herüberschieben. In Frankreich hat man beim Staatsnotstand 2019 mit Rekordtemperaturen von bis zu 46 Grad Celsius und mit über 1400 Hitzetoten in kurzer Zeit eine ungefähre Vorstellung bekommen, was auf Europa bald zukommen wird.

Endlich anders bauen
Teile der Architektenschaft sind angesichts solcher ablesbarer Entwicklungen wachgerüttelt. Am Rande einer Diskussion, initiiert vom Architekturzentrum Wien (AzW) zum Thema Wachstum, setzte sich Verena Mörkl, Geschäftsführerin der Superblock Architekten, für ein rasches Umdenken ein und dafür, sich dem Diskurs zu stellen: „Der Klimawandel ist da und mit der Transformation wird die Frage der Verteilungsgerechtigkeit bedeutend zunehmen.“ Nicht alle könnten sich einen Zweitwohnsitz im Grünen gegen die Hitze anschaffen und überhaupt gäbe es für daraus entstehende soziale Konflikte die sprichwörtlichen Mauern nicht, die dann hoch genug wären. Mit 40 Prozent an geschätztem Aufkommensanteil bei den Emissionen gilt das Segment Bauen und Wohnen als größter Verursacher der Entwicklungen, der auch politisch daher immer mehr im Mittelpunkt steht. Hervorgebracht hat das bislang im Wesentlichen eine Nachhaltigkeitsdenke und andererseits einfa­che Dämmstrategien, wobei Letztere bei reichlich Erwärmung auch zum Hitze-Bumerang werden können. Selbstkritisch geht Mörkl mit der eigenen Branche ins Gericht: „Wie wir im Alltag planen und bauen, ist ökologisch betrachtet einfach Steinzeit.“ Sie spricht Betonfertigteile sowie Fassadendämmung und Fenster aus Erdölprodukten damit indirekt als gestrig an und ortet gleichzeitig das kostentechnische Diktat als Hemmnis. „Der Siedlungsbau muss eigentlich kleinteilig gesehen werden, damit man zu anderen Formen des Bauens gelangt“, sagt Mörkl und beklagt, dass Entscheidungsträger alles andere als dieses im Fokus hätten. Kurzfristige Profitabsichten und normative Konflikte würden echten Klimaschutz derzeit verunmöglichen, meint Mörkl.

Änderungen anregen
Ganz so negativ liest sich das im aktuellen Klimaschutzbericht von Global 2000 nicht. Hier wird beim Thema Bauen – zwar ohne methodisch viel anzugeben, aber immerhin bundesländerweise – auf Emissionsrückgänge verwiesen. In Vorarlberg hätte es über die letzten zehn Jahre sogar eine Reduktion bei den verbuchten Emissionswerten von rund einem Viertel gegeben. Die nähere Betrachtung der Praxis im Ländle deutet darauf hin, dass es durchaus ein­fache Dinge sind, die anscheinend wirken. Der Energieausweis beim Wohngebäude bemisst in Vorarlberg nicht nur den energetischen Standard, sondern wird auch für die Förderwürdigkeit hergenommen. Die aktuelle Fördervorgabe arbeitet mit Bonus-
zahlungen und je nach Zielerreichung stehen diese in Aussicht. Nachhaltiges Bauen von Gemeinden wurde hier seit zehn Jahren über den Kommunalgebäudeausweis bei rund 1000 Bauten erfolgreich angeregt. Diese Zahl ist ungefähr gleich jener aller bisher ausgestellten klimaaktiv-Zertifizierungen für ganz Österreich. Auf die um Anerkennung heischenden „Edelmetallwertungen“ von Zertifikaten wird beim Ausweis dank der Fördermechanismen verzichtet.

Frühe Erfahrungen mit Pilotprojekten hat Architekt Hermann Kaufmann gemacht und er hat bald festgestellt, dass es am Ende am Bauherrn hängt: „So wie Pflanzen nur auf gutem Boden gedeihen können, sind Offenheit und Verständnis die Grundvoraussetzungen seitens des Auftraggebers, damit neue Ideen und Standards verwirklicht werden.“ Beim Passivhaus-Holzbau des Gemeindezentrums Ludesch nach seinen Plänen hatte man das immer wieder­kehrende Argument der baulichen Mehrkosten von nachhaltigem Bauen demonstra­tiv entkräftet.

Dämmen oder doch nicht
Ein anderes Vorarlberger Architekturbüro, nämlich Baumschlager Eberle, hat sich mit dem eigenen Bürogebäude 2226 in Lustenau einen Namen gemacht. Mit nichts als Ziegel und ohne klassische Dämmung oder Heizung ist mittlerweile ihr viertes derartiges Projekt, eine Wohnanlage in Dornbirn, der Nutzung übergeben worden. In den derart errichteten Gebäuden soll die Komfortzone zwischen 22 und 26 Grad auch ohne Heizen oder Kühlen, dafür mit smart kontrollierter Lüftung im Wesentlichen nicht verlassen werden. Eine Ausstattung mit Infrarotpaneelen für den Notfall gibt es beim Wohnbau dennoch. Zweihundert Jahre soll die Lebensdauer für diese Gebäude betragen, was eindeutig zukunfts­trächtig ist. Die Österreichische Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (ÖGNI) bewertet laut Geschäftsführer Peter Engert „graue Energie“ im Zusammenhang mit der Haltbarkeit positiv: „In unsere Bewertungen geht die graue Energie über den Restwert nach dem Lebenszyklus ein.“ Eine gute Nachricht in dem Zusammenhang ist, dass der „klimaneutrale Ziegel“ praktisch über Nacht auch schon verfügbar ist. Tatsächlich hat Wienerberger es geschafft, für einen mit Perlit gefüllten Planziegel ein TÜV-Siegel zu bekommen, das „Klimaneutralität“ dezidiert ausweist. Prozessoptimierung, erneuerbare Energie nebst kompensatorischen Ökoprojekten schufen dieses Wunder. Auch die Zementindustrie will das können. Beim Weltkonzern Holcim orientiert man sich an der Ankündigungspolitik der EU und will die Unschädlichkeit fürs Klima bis 2050 anbieten. In zehn Jahren sollen die CO2-Ausstöße um 20 Prozent heruntergebracht worden sein. Als Versprechen beim Beton gehandelt werden außerdem der Leichtbau mit weniger Materialeinsatz sowie der Einsatz von Baumasse als Wärmespeicher im Zusammenhang mit „alternativen Energien“.

Baustoffberg abbauen
Sind die CO2-Emissionen bei den Baustoffen einmal eingepreist, dürfte der Wiederverwertung bei den Baumaterialien deutlich mehr Bedeutung zukommen. „An Bau- und Abbruchmaterialien fließen jährlich 209 Millionen Tonnen aus dem Baubereich ab, was 52 Prozent des deutschen Abfallaufkommens entspricht“, heißt es beim deutschen Zentrum für Ressourceneffizienz. Sagenhafte 15 Milliarden Tonnen würde das Materiallager für den Hochbau in Deutschland bereits ausmachen. Im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ berichten Forscher zum Jahresausklang, dass 2020 die von Menschen gemachte Umwelt erstmals mehr Masse hätte als alles, was die Natur an „lebender Biomasse“ aufbietet. Von einer Trillion Tonnen, einer Zahl mit 18 Nullen, wird berichtet. So lange die Grenzen des Wachstums ausgereizt werden, würde sich die Menge alle zwanzig Jahre verdoppeln.

Wiederverwertung beim Bauen spielt aktuell noch fast keine Rolle. Dem zum Trotz wurde vor der Errichtung der neuen BUWOG-Zentrale in Wien gezielt „Re-Use“ betrieben. Das dort vorher befindliche, von Harry Glück geplante und nur 38 Jahre genutzte Magistratsgebäude hat man unter Einsatz von 3450 Arbeitsstunden vor dem Abriss rückgebaut. Dabei konnten 74 Tonnen Material entnommen und wieder in den Kreislauf eingebracht werden. Architekt Thomas Romm vom durchführenden Baukarussell verweist auf ein Geschäftsmodell, das neben sozialökonomischen Kräften auf drei Säulen beruht: „Werkstofftrennung, Wiederverwertung von Bauteilen und die Ersparnis durch den rechtskonformen Rückbau“. Auch an weiteren prominenten Bauplätzen, wie jenem der ehemaligen Coca-Cola-Fabrik am Wienerberg, wurde so verfahren.

Sanieren mit Klimaeffekt
Laut einer Studie, die von der deutschen „Fridays for Future“-Bewegung in Auftrag gegeben wurde, sollte die Neuproduktion von Gebäuden lieber ganz aus dem Fokus geraten. Für den Gebäudesektor favorisieren die Studienautoren vom „Wuppertal Institut“ die Steigerung der Sanierung des Bestandes von einem auf vier Prozent. Angeregt wurde unter anderem flächensparendes Wohnen über die flexiblere Nutzung inklusive Umbau von Häusern mit Unterbelegung. Genau das ist auch Kern eines vielversprechenden Programms namens OptiWohn in Baden-Württemberg. Mitinitiator Daniel Fuhrhop will mit volleren Belegungen neues soziales Leben ermöglichen: „Nicht alle, die heute alleine in einem Haus wohnen, wünschen das so.“ Umgekehrt könne man sich dezentrale Neubausiedlungen, welche die Allgemeinheit übermäßig belasten, im wahrsten Sinn des Wortes sparen. Dass auch toll gedämmte Neubauten den Klimawandel eigentlich beschleunigen, begründet Fuhrop so: „Nahe­zu die Hälfte der gesamten Energie beim Gebäude wird schon beim Bauprozess eingesetzt.“ Das sei im Gegensatz zum Betrieb leider sofort klimarelevant. Auf zu wenig Sanierungstätigkeit in Österreich verweist Wolfgang Amann, Leiter des Institutes für Immobilien, Bauen und Wohnen, auch beständig. Bei der Präsentation einer von seinem Institut für das Umwelt­bundesamt erstellten Studie wurden von ihm Aktionen angeregt: „Mit einer Sanierungsrate von 2,5 bis 3 Prozent können wir den österreichischen Wohnungsbestand bis 2040 klimafit machen.“ Die öffentlichen Förderstellen wären gar nicht so schlecht mit ihren Angeboten. Die intendierte Komplettsanierung sei für den privaten Bereich oft aber zu ambitioniert. „Hier ist lediglich die Bereitschaft groß, in Einzelmaßnahmen zu investieren, wobei dann Effizienzpotenziale liegen bleiben“, sagt Wohnbauforscher Amann. Mehr ließe sich über eine niederschwellige Förderung für professionelle Sanierungskonzepte bewegen. Damit solle die Qualität sowie die Abstimmung von Maßnahmen sichergestellt werden.

Boden nicht verlieren
Laut politischen Ankündigungen geht die Gewinnung von Sonnenenergie bei Neubauten demnächst verpflichtend in die Bauordnungen ein. Der Zivilitechnikerverband gab in einer prompten Stellungnahme gleich einmal zu bedenken, dass Gebäude auch im Schatten stehen. Ursula Schneider von POS sustainable architecture sieht eine andere Ungereimtheit, nämlich jene, dass nicht das jeweilige Bauland, sondern die Nutzfläche relevant sein soll. „Die Gebäudeoberflächen der dichten Bebauungen würden dann heiß umkämpft sein“, schreibt Schneider im Forum der IG Architektur. Bei Quartiersentwicklungen würden Konflikte zu bereits bestehenden Planungen die Folge sein, zum Beispiel bezüglich Belichtung oder Terrassennutzung. Einfamilienhausplanungen mit mehr Kubatur pro Nutzfläche wären demgegenüber entlastet und dann vielleicht beliebter denn je zuvor.

Genug von dem angeblichen Einfamilienhaustraum haben scheinbar auch die Zuständigen in den Amtsstuben des Landes Steiermark. Die leitende Baudirektorin in Kapfenberg nimmt sich angesichts des Wechsels in den Ruhestand bezüglich der gelebten Praxis kein Blatt vor den Mund: „Auf Ebene der Gemeinden und Städte steht bei politischen Entscheidungen immer noch der kurzfristige Gedanke im Vordergrund, niemandem wehtun zu wollen.“ Viel mehr als gutes Bemühen und ein paar gute Ansätze seien da gar nicht möglich und keinesfalls ein effizienter Klimaschutz. Boden geht wegen flächenintensiver Bebauungen immer noch massenhaft verloren und damit regenerative Möglichkeiten, bis 2050 an irgendwelche Ziele heranzukommen. Thematisiert wird das im AzW in der laufenden Ausstellung „Boden für Alle“. „Ein tiefergehendes Verständnis der raumplanerischen Zusammenhänge und eine breite öffentliche Diskussion sind für eine bodenpolitische Wende unabdingbar“, sagt AzW-Direktorin Angelika Fitz. Systemische Fehlentwicklungen werden beklagt und die Kuratorinnen fordern Visionen für die Zukunft statt dem Fortschreiben des Status quo. Boden sei eine unwiederbringliche Ressource, die leider der Spekulation allzuoft geopfert würde.

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