Mut zur Gemeinsamkeit

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Wegen Überfüllung geschlossen. In Zukunft wird es immer öfter heißen: „zusammenrücken“. Der Platz wird knapp und neue Wohnkonzepte müssen her. Dass das nicht immer nur Stadtverdichtung bedeuten muss, zeigen viele spannende Beispiele von Co-Housing, die einen neuen Trend setzen und zugleich alte Traditionen wieder aufleben lassen.

Wenn man sich fragt, wie das Wohnen der Zukunft aussehen wird, ertappt man sich dabei, dass man in erster Linie an Details denkt: an internetbasierte Kühlschränke, an App-gesteuerte Dusch-WCs, an die Sauna, die ins Wohnzimmer passt, an die Annehmlichkeiten des Smart Homes mit programmierter Beschattung, Beleuchtung, Raumstimmung und Auf und Zu des Garagentors. Müssten wir aber nicht eigentlich viel größer denken? Gemeinschaftlicher? Zukunfts­orientierter? Wir würden sagen: Ja!

Gesellschaft neu denken
Viele Menschen leben schon jetzt in Wohnungen, und wir wissen, dass es bald 75 Prozent sein werden, die sich im urbanen Umfeld aufhalten werden. Der Einfamilienhausbau wird in Relation langsam, jedoch sicher zurückgehen. Der Grund dafür ist einfach erklärt: Immer mehr Menschen stehen immer weniger Platz gegenüber, ein Haus mit Garten wird also nicht für alle möglich sein. Ein guter Zeitpunkt also, Wohnformen und damit Gesellschaftsstrukturen neu zu denken, wo vielleicht für mehr Menschen ein Teil dieses Traumes möglich wird, anstatt für viele gar nicht und für einige wenige schon. Schon seit den Neunzigerjahren gibt es Denkmodelle respektive reale Wohnmodelle, die sich auf diesem Denk­ansatz begründen. Die Sargfabrik in Wien ist der klare Vorreiter eines gemeinschaftlich entwickelten Lebensmodells. Zehn Jahre hat die Planung gedauert, bis die „Mutter“ aller Gemeinschaftswohnprojekte 1996 eröffnet wurde. Mit der Idee, ein Dorf in der Stadt zu etablieren, realisiert der gemeinnützige „Verein für Integrative Lebensgestaltung – VIL“ 112 Wohneinheiten, eingebettet in eine soziale Infrastruktur mit Kinderhaus, Veranstaltungs­saal, Seminarraum, Badehaus, Restaurant, Spielplatz, Gemeinschaftshöfen und Dachgarten. Heimplätze und Wohngemeinschaften für Behinderte sind genauso Teil davon wie eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Wien und Wohneinheiten für kurzfristigen Wohnbedarf als befristete Mietverhältnisse. Hier findet Stadt statt.

Neue Maßstäbe ansetzen
Doch nicht nur in der Stadt, sondern auch im ländlichen Raum beginnt sich in dieser Hinsicht etwas zu verändern und zu ent­wickeln. Co-Housing heißt der neue Trend, bei dem Wohnprojekte im Grünen mit partizipativer Beteiligung aller gleichberechtigten Partner entstehen. Oder auch eigen­initiativ für andere mitgedacht. So plante beispielsweise Andreas Breuss im Waldviertel das „Co-Sharing House“ für eine Bauherrin, die die Stadt hinter sich lassen wollte, jedoch nicht ganz allein leben wollte. So entstand aus der ursprünglichen Idee für ein Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ein Konzept mit mehreren kleinen Häusern, die mit anderen geteilt werden können. Dabei sind die Funktionen oder die Nutzung der Einheiten frei wählbar: vom temporären oder permanenten Wohnen über Arbeiten oder Besucherunterbringung bis hin zu künstlerischen Aktivitäten. Jede Einheit verfügt über einen großen Raum, der entweder als Wohnraum oder Studio verwendet werden kann. Im nördlichen Teil des Hauses befinden sich kleine Schlafräume und die Sanitäreinheit. Die Häuser sind alle über gemeinsame Vorräume und eine Arkade miteinander verbunden. Im südlichen Teil des Grundstückes wurde noch ein Gebäudekomplex geplant, der eine weitere Einheit zum Wohnen oder als Atelier be­inhaltet. Weiters werden dort Räume für landwirtschaftliche Nutzungen und ein gemein­samer Schwimmteich angelegt. Im Co-Sharing House von Andreas Breuss wird also nicht nur Raum geteilt, sondern auch soziale Funktionen – wie Kinderbetreuung, Gartentätigkeiten, Kleintierhaltung und Kleinlandwirtschaft sowie gemeinsame künstlerische oder körperliche Aktivitäten. Statt introvertiertem Wohnen in einem ökologisch schon fast bedenklichen Einfamilienhaus gibt es dort jetzt ein lebendiges Sozialleben, wo Raum und Nutzung geteilt werden können.

Ein Dorf entsteht
Eine Dimension größer gedacht ist das Projekt des Architekturbüros einszueins für ein 6000 Quadratmeter großes Grundstück in St. Andrä/Wördern. Der kreative Leitfaden für das Gemeinschaftswohnprojekt mit acht Mehrfamilienhäusern mit je drei bis fünf Wohneinheiten lautet „wild – organisch – vielschichtig – magisch – heimelig“. Der klare Fokus liegt dabei darauf, leistbaren und ökologisch vertretbaren Wohnraum zu realisieren und dafür unterschiedliche Räume zu schaffen, unterschiedliche Atmosphären zu kreieren, die Möglichkeiten zur Begegnung einzuladen und ein „Für-sich-­
sein-Können“ sicherzustellen. Das mit Fertig­stellung im Jahr 2021 geplante Projekt sucht die naturbelassene Nähe eines Waldes, knüpft stilistisch an die gebaute Einfamilienhausumgebung an und will auch nicht hervorstechen, sondern lieber von Anfang an Teil davon sein. Dorfartig angelegt um eine Art Marktplatz wird es für die sozialen Kontakte zwei Gemeinschaftshäuser geben, eines als Raum für Veranstaltungen, das andere zum ungezwungenen Beisammensein, gemeinsamen Essen, Kochen, Kaffeetrinken, Tratschen, was immer beliebt und gemeinsam Freude bereitet. Zusätzlich sollen die Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft und Permakultur hier hochgehalten werden: Streuobstwiesen, wilde oder heimelige Nischen sowie Möglichkeiten zum Gemüseanbau sind Teil dieses Konzepts. Und der Wald, der darf natürlich stehen bleiben und dient künftig als Abenteuerspielplatz und Rückzugsort.

Zurück in der Stadt
Ein Projekt ist gerade dabei, sich zu formieren: die Baugruppe „Himmelteich“ in Wien-­Essling. Über den wohnfonds_wien wurde der Bauplatz in der Niklas-Eslarn-Straße 13 am gleichnamigen Gewässer vergeben, wo insgesamt 25 geförderte Wohnungen entstehen sollen, die eine gemeinschaftliche Infrastruktur nützen. Um diese näher zu definieren, werden potenzielle Interessenten eingeladen, sich auszutauschen und so zusammenzufinden – dass man sich gerne mag, ist für ein solches Projekt wohl das Allerwichtigste. Fest steht, dass in Holzbauweise und ressourcenschonend gebaut werden soll, alles andere würde zur idyllischen Umgebung mit Wald, Teich und Wiese in Widerspruch stehen. Der Rest ist offen und damit die Chance gegeben, dass jeder Einzelne seine Ideen und Visionen zumindest zu einem Teil verwirklichen kann. Unterm Strich bedeutet all das, dass man in Zukunft näher zusammenrücken muss und sich jenen Raum, der zur Verfügung stehen wird, teilen muss. Das setzt natürlich eine gewisse Harmonie und soziale Ausgeglichenheit voraus, sonst kann trotz schönster Architektur und Ambitioniertheit das friedliche und gemeinschaftliche Zusammenleben nicht funktionieren.

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