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Nichts wird wie vorher sein

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Im Homeoffice wird der Küchen- oder ­Esstisch zum Arbeitstisch.
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Der „dauernde Sonntag“, wie die IG Architektur die verordnete Ruhe im Lockdown genannt hat, ist zu Ende. In der Bau- und Architekturbranche war der Stillstand vergleichsweise kurz. Doch die massive Unterbrechung der Arbeitsabläufe hat deutliche Auswirkungen – nicht nur ökonomisch, sondern weitaus umfassender.

von: Susanne Karr

Die Frage nach der Zukunft betrifft alle. Gesamtgesellschaftliche Auswirkungen der Pandemie-Krise haben sich teilweise rasch gezeigt. Die Stichworte Lockdown, Social und Physical Distancing, Maskentragen und plötzliche Sportbegeisterung haben die Alltagssituation charakterisiert. Psychologische und ökonomische Langzeitwirkungen stehen bevor, sozialpolitische Dis­kussionen nehmen an Fahrt auf. Ökologisch haben sich positive Phänomene gezeigt, auch in Bezug auf Lebensstil ist viel in Bewegung gekommen. Der gesamte Baubereich, von Architekturbüros über Bauunternehmen, ist massiv von den Maßnahmen gegen die Krise und deren weitreichenden Auswirkungen betroffen. Umfragen, Onlinediskussionen und Interviews geben vielfach Einblick, wie die Gesamtsituation infolge von Corona auf Architektur- und Planungsbüros wirkt.

Globale Veränderungen
„Nachher wird nichts wie vorher sein“, nannte die IG Architektur ihre Onlinediskussion. Sie startete mit dem Bild einer „Veränderung, die den ganzen Globus umspannt“, wie Marie-Theres Okresek vom Architekturbüro bauchplan es als Moderatorin ausdrückte. Es geht dabei um nichts weniger als ein Stück Zeitgeschichte. „Wir erleben derzeit eine Veränderung, wie wir sie noch nie erlebt haben“, fügt sie hinzu. Auf einer konkreten Ebene stellt sich zunächst die Frage: Wie verändert sich die Arbeitssituation, was sind die speziellen Herausforderungen und Chancen?

Homeoffice
Erster Punkt, der berufs- und spartenübergreifend alle betraf: Der Arbeitsplatz war plötzlich zu Hause. Mittlerweile kehren ja viele, wenn auch langsam, in die Büros zurück. Aber das Homeoffice war und ist Realität. Viele Überlegungen gehen dahin, es zumindest zeitweise als Arbeitsplatz zu belassen, und zwar offiziell – denn inoffiziell war es das in vielen Fällen schon lange. Zu Hause arbeiten hat für Architektur und Planung – wie wohl für die meisten anderen Arbeitsbereiche – gute und schlechte Seiten. Das lässt sich in vielen Aussagen erkennen. Einerseits kommt die Zeitersparnis zur Sprache: Wer nicht hin- und herfahren muss, hat erstens mehr Ruhe, gleichzeitig zweitens mehr Zeit zum Arbeiten. Anderer­ seits ergibt sich daraus aber oft auch drittens gar keine Trennung mehr zwischen Arbeit und Freizeit.

Durch Homeoffice ändern sich zeitliche Strukturen, in vielen Fällen vor allem durch den Ausfall der Kinderbetreuungseinrichtungen. Wie auch in anderen Berufsgruppen sind davon häufiger Frauen betroffen. Sie basteln die mit Kinderbetreuung verbrachten Stunden, die als Arbeitszeit ausfallen, an allen Ecken und Enden in den verbliebenen Tagesablauf hinein, wo sich eine Lücke auftut. Oft fangen die Tage sehr früh an und dauern bis spät nachts. Eine Anfang April mit 1000 Ziviltechnikern durchgeführte Umfrage fasst die Situation in folgende Zahlen: Nach Ansicht von 77 Prozent der Befragten sinkt durch die Umstellung auf Homeoffice die Arbeitsleistung. Andererseits erkennen 66 Prozent in der Verlagerung vieler Besprechungen und Meetings in den virtuellen Raum einen Effektivitätsgewinn.

Was fehlt?
Dem klassischen Umfunktionieren vom Ess­tisch zum Arbeitstisch konnte Architekt und Baukulturvermittler Martin Brischnik durchaus etwas abgewinnen, wie er bei der IG-Architektur-Diskussion berichtete. Auch die Onlinekommunikaton bzw. Onlineplanung mit Kollegen funktionierte sehr gut: An Projekten lässt sich mit Teilnehmern an verschiedenen Orten gut arbeiten. Zum Beispiel mit einem Online-Whiteboard, auf das alle Konferenzteilnehmenden Zugriff haben und direkt hineinzeichnen können, etwa direkt im AutoCAD-Programm. „Das gemeinsame Entwerfen, das Immer-wieder-Drüberzeichnen ist eigentlich Grundlage unserer Arbeit“, bestätigt ­Marie-Theres Okresek. Dass Onlinetools diese ­kollektiven Entstehungsphasen ­ermöglichen, war maßgeblich für die ­Weiterführung von Entwurfsprozessen, denn sich mit Projektpartnern zusammenzusetzen war erst mal abgesagt. „Von einem Tag auf den anderen war es nicht mehr möglich, sich zu Meetings zu treffen, bei denen man an einem Tisch zusammen denkt, überlegt und mit dem Stift in der Hand skizziert“, erzählt Architekt Elias Walch vom Büro He und Du.

Was bleibt?
Um dennoch Besprechungen zu realisieren, war eine genauere Auseinandersetzung mit Meetingsoftwares notwendig. Viele Aussagen gehen dahin, dass durch die erzwungene Situation diese Option unumgänglich war – mit teilweise sehr positiven Ergebnissen. Was hat die notwendige Digitalisierung konkret gebracht? Architektin Eva Hierzer von NOW Architektur berichtet von diversen Konferenzsoftwares mit jeweils spezifischen Vor- und Nachteilen. Ortsunabhängiges Arbeiten und Mischung von Home­office und Büro ist bei NOW schon lange vor Corona üblich gewesen. Weil das Büro viel mit Projektpartnern kooperiert, waren bisher persönliche Treffen wichtige Bestandteile des Arbeitsprozesses. Die bisher üblichen Face-to-Face-Treffen fallen nun zwar aus, aber mit Onlinetools wie Chats und Meetings kann eine Qualität der Kommunikation etabliert werden, die anders ist als bei persönlichen Treffen, aber durchaus gute Ergebnisse erzielt.

Diese Darstellung entspricht den Ergebnissen der Ziviltechnikerumfrage, bei der 85 Prozent die notwendige IT-Infrastruktur für Onlinemeetings und Videokonferenzen als gegeben sehen. 77 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, die benötigte IT-Hardware auch im Homeoffice zur Verfügung stellen zu können. Allgemein ortet Eva Hierzer auch für die Zeit nach dem Distanzgebot eine neue Qualität in der Kommunikation, weil man gemeinsame Beobachtungen gemacht hat. Sie stellt fest, dass viele Auftraggeber sich in der Lockdown-Phase gründlicher als sonst mit Plänen und Vorhaben auseinandergesetzt haben. Das merkt man etwa, wenn man über Wohnbau spricht: „Da ist jetzt prinzipiell eine ganz neue Gesprächsbasis da. Man kann inhaltlich ganz anders miteinander reden.“

Massive Rückgänge bei Aufträgen
Wie haben sich die Auftragsabwicklungen gestaltet? Die Baubranche arbeitet nach einem totalen Stopp beim Lockdown und darauffolgenden Einbruch wieder weiter, zwar eingeschränkt, aber doch. In einer Umfrage der Ziviltechniker erwarteten 66 Prozent einen starken Rückgang der privaten und 46 Prozent der öffentlichen Aufträge. Bei 29 Prozent der Befragten haben private und bei 9 Prozent öffentliche Auftraggeber angekündigt, bereits gestellte Honorare nicht im üblichen Zeitraum zu zahlen. Laut der Befragung kam es zu massiven Beeinträchtigungen von Projektabwicklungen durch Baustopps – die einerseits durch Auftraggeber (72 %), andererseits durch ausführende Unternehmen (69 %) bedingt waren. Vertragskündigungen waren nur bei 9 Prozent relevant. Allerdings kam es bei 70 Prozent zu Verschiebungen des Projektbeginns durch Auftraggeber und bei 77 Prozent zu Auftragsverzögerungen, bedingt durch Kommunikationsprobleme mit Entscheidungsträgern. Pönalforderungen und Schadensersatzforderungen befanden sich in einer Größenordnung unter 4 Prozent. Dass die Krise sich auf die gesamte Lieferkette auswirkt, zeigt sich in Lieferengpässen bei ausführenden Unternehmen. 65 Prozent der Befragten gaben dies als Grund für Behinderungen in Projektabwicklungen an. Eine Onlineumfrage mit 500 Teilnehmern in Deutschland zeigte ähnliche Ergebnisse: verschobene und ausgefallene Termine mit Bauherren oder Fachplanern, in der Folge Verzögerungen auch bei Wettbewerbsverfahren. In dieser Umfrage geben allerdings viele an, dass es zu Auftragsausfällen gekommen sei.

Work-Life-Balance und neuer Umweltfokus
Als Konsequenz für die Zeit post Covid merken sich manche vor: eine verbesserte, besser organisierte Zeiteinteilung, um das Hin- und Herfahren auch im späteren Büroalltag zu vermeiden. Es soll stärker abgewogen werden, in welchem Verhältnis Zeitaufwand und Ressourcenverbrauch mit dem Output stehen. Das Homeoffice wollen einige jedenfalls temporär beibehalten. Es gilt hier, die Überschneidung von Arbeit und Freizeit im Blick zu behalten.

Die Erfahrung des Lockdown als Slowdown bezieht sich aber nicht nur auf das Motiv, notwendige und unnötige Prozesse zu sortieren. Eine Konsequenz war auch die Erkenntnis, dass zu hohes Arbeitstempo davon abhält, Sinn und Effizienz des Getanen zu hinterfragen. Etwa, wie viel Hin- und Herfahren vermeidbar ist auch in größerem Maßstab bei Reisen zu Konferenzen, deren Besuch oft auch online möglich ist. Das wäre nicht nur ein Gewinn für eine gesellschaftliche Atmosphäre mit mehr Gelassenheit, sondern tatsächlich auch für die Umwelt. Bilder vom klaren Nachthimmel und Satellitenaufnahmen mit ungewöhnlich guten Sichtverhältnissen sind viral stark präsent geworden. „Das aktuell sozusagen ‚verordnete Lernen‘ durch Corona schärft in nie dagewesenem Ausmaß das Bewusstsein der Menschen und die Thementransparenz für Umweltthemen, und das generationenübergreifend“, formuliert Karl Friedl von der IG Lebenszyklus Bau diese Entwicklung.

Stadt neu erleben
In der Anfangszeit des Lockdowns haben viele ihre Stadt auf völlig neue Weise kennengelernt. Eine unglaubliche Ruhe herrschte auf einmal, wo sonst gereizte Autofahrer Druck machen. Die leeren Straßen sind ein ästhetischer Gewinn, vor allem in Bezug auf die Wahrnehmung von Architektur. Auf einmal hat man eine Idee, wie Stadt einst gemeint war, etwa zu der Zeit, als die Jugendstilhäuser auf der Wienzeile gebaut wurden oder die Stadtpalais in Salzburg. Architektonische Konzeptionen werden auf einmal neu wahrnehmbar. Diesen Aspekt der Schönheit stärker in den Blick zu nehmen und bereits bei Ver­gaben von Bauaufträgen festzuschreiben wäre ein wichtiger Punkt. Schönheit lässt einen stärkeren Bezug zum gebauten Objekt entstehen. Dies ist nicht nur ein Argument für Kunst am Bau, es ist auch Erfahrung. Mit Dingen, die schön gestaltet sind, wird ein besserer Umgang gepflegt. Es wird eine Art Wertschätzung ersichtlich, die von den Planern auf die Bewohner zurückwirkt und diese wiederum die Häuser gut behandeln lässt.

Gesehenwerden und Systemrelevanz
Eine weitere Idee formuliert Erik Testor vom Architekturbüro Duda Testor so: „Auch in der Krise gehört das ‚konsumfreie Sehen und Gesehenwerden‘ zu den Lieblingsbeschäftigungen, wie entlang des Donaukanals. Vielleicht sollten wir uns ein Pendant für die kalte Jahreszeit überlegen.“ Fragen und Beobachtungen führen auch direkt in gesellschaftspolitische Überlegungen. Was bedeutet etwa der Begriff „systemrelevant“? Da müsste zunächst einmal das „System“ genauer analysiert werden. Woraus besteht es? Wer betreibt es? Wem nutzt es? Und wie veränderlich ist es? Dann: Was bedeutet „relevant“? Sind soziale Kontakte nicht relevant? Sind Theateraufführungen, Konzerte nicht relevant? Fußballspiele und das tägliche Schnitzel hingegen schon? Um zu einer neuen, zukunftsfähigen Normalität zu finden, wird es notwendig sein, solche Überlegungen ernst zu nehmen.

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