So schlimm wie in Kowloon Walled City wird es schon nicht werden. In diesem Stadtteil Hongkongs mussten im Jahr 1993 Dutzende Hochhäuser abgerissen werden, die sich auf einem rechteckigen Grundriss von 210 Metern Länge und 120 Metern Breite drängten – der Grund: die inakzeptable sanitäre Situation. So gesehen: Das Prinzip der Verdichtung, das sich für (mittel)europäische Städte weitgehend durchgesetzt hat, kann man auch übertreiben. In Wien herrscht jedenfalls der Konsens „sanieren statt neu bauen“.
Dichter bebaute Städte und Dörfer haben für Wolfgang Amann – seines Zeichens geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen – überwiegend Vorteile: Die Kosten der Gemeinden für Infrastruktur fallen geringer aus, öffentlicher Verkehr ist leichter organisierbar. „Auch das soziale Leben in Gemeinden funktioniert besser, wenn die Menschen nicht in alle Himmelsrichtungen verstreut sind“, so Amann, der auch parlamentarischer Berater in wohnwirtschaftlichen Fragen ist. Vielen Österreicherinnen und Österreichern ist diese infrastrukturelle Veränderung ihres Lebens-Wohn-Umfeldes existenziell präsent: Hierzulande wird es „enger“.
Innenentwicklung im Mittelpunkt
Eine aktuelle Studie des Klima- und Energiefonds des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit zählt in Österreich ca. 1,43 Millionen Eigenheime (nur Hauptwohnsitze), was 39 Prozent des Gebäudebestands entspricht. Setzt man diese Zahlen in Beziehung zu der Tatsache, dass in den meisten Einfamilienhaus-Siedlungsgebieten der 1950er- bis 1980er-Jahre geringe Baudichten vorherrschen, liegt auf der Hand: Nachverdichtung birgt erhebliches Potenzial. Dies ist umso mehr gesellschaftlich relevant, als der demografische Strukturwandel einschneidende Änderungen der Wohnformen (Einpersonen-, Mehrgenerationenhaushalte, Patchworkfamlien etc.) mit sich bringt. All diese Überlegungen resultieren dahingehend, sämtliche Möglichkeiten der Mobilisierung bestehender Grundstücks- bzw. Wohnraumreserven auszuschöpfen: Ein gutes Beispiel dafür, dass die „Innenentwicklung“ das gewünschte Ziel eher erreicht (anstelle Boden unnötig zu versiegeln), ist eine pannonische Haussanierung.
Maßanzug für zwei
Alljährlich wird „Das beste Haus“ gesucht – und zwar vom Bundeskanzleramt gemeinsam mit dem Architekturzentrum Wien und regionalen Architekturinstitutionen. Die Ausschreibung legt einen besonderen Fokus auf das Bauen im Bestand. So ging der prestigeträchtige Preis 2018 für das Burgenland an den Architekten Martin Mostböck für den Umbau und die Erweiterung eines Winzerhauses in Horitschon. Die „kecke Glasbox“ am traditionellen Dach ist ein Hinweis darauf, dass bei diesem Projekt alte Substanz charmant mit Neuem kombiniert wurde. Dazu das beauftragende Winzerpaar: „Dieses Raumgefüge nimmt das Traditionelle aus dem Bestand auf, verbindet es mit modernen, zeitgenössischen Elementen und kreiert so Neues. So entstand der Maßanzug für zwei.“ Mostböck entkernte und öffnete den Bestand bis zum Dachraum; hinzu kamen ein Wintergarten, ein Pool und ein Fitnessbereich. Klaus-Jürgen Bauer (Architektur Raumburgenland) begründet die Juryentscheidung so: „Das alte burgenländische Streckhaus erlebt hier eine ungeahnte und erfreuliche Verwandlung, das vertraute Straßenbild bleibt erhalten.“
Wo die Generationenfolge noch funktioniert
Abseits preisträchtiger Architektur: Wie stellt sich insgesamt die Problematik „Sanierung statt Neubau“ auf dem Lande dar? In vielen ländlichen Regionen werden gerne alte Bauernhäuser renoviert – und im Scheunentrakt neue Wohnungen errichtet. Dies ist besonders in Lagen attraktiv, wo ein Neubau nicht genehmigungsfähig ist. In mehreren Bundesländern stehen spezielle erhöhte Förderungen für die Sanierung von Eigenheimen bei gleichzeitiger Schaffung zusätzlicher Wohnungen zur Verfügung, beispielsweise in Niederösterreich.
Insbesondere bei Eigenheimen innerhalb von Siedlungsgrenzen ist das eine effiziente Maßnahme der Nachverdichtung: Solche Erweiterungen sind sehr beliebt, wenn für die nachkommende Generation keine eigenen Baugrundstücke mehr zur Verfügung stehen. FH-Dozent Amann: „Es ist immer noch besser und oft günstiger, Wand an Wand mit den Schwiegereltern zu leben, als in den Geschoßwohnbau ausweichen zu müssen.“ Angebaute Wohnungen seien auch „eine sehr gute Möglichkeit, aus der Vermietung die eigene Pension aufzubessern“.
Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse wäre eine Parzellierung optimal, meint Amann, das sei aber oft nicht möglich: „Bei einem zu einem Mehrwohnungsgebäude ausgebauten Eigenheim spricht viel dafür, nicht zu parifizieren, sondern die anderen Wohnungen in Miete oder mietfrei zu überlassen.“ Wohnungseigentum macht später nämlich die Bewirtschaftung des Gesamtgebäudes schwieriger.
Alles eine Frage der Energieeffizienz
Als alles verbindende Klammer der Sanierung muss die Verbesserung der Energieeffizienz verstanden werden. Wenn ein Haus (sei es am Land oder in der Stadt) saniert bzw. ausgebaut wird: Welche Überlegungen zur Steigerung der Energieeffizienz können überhaupt angestellt werden? Dazu Walter Hüttler, Geschäftsführer von e7 – Ingenieurbüro für Energie- und Umwelttechnik: „Die Frage stellt sich für uns über die Energieeffizienz hinaus in einem noch breiteren Kontext: Wie können bestehende Gebäude zukunftsfit gemacht werden?“ Dabei seien die „üblichen Maßnahmen“, wie beispielsweise eine sehr gute Wärmedämmung und moderne Fenster, nur der „Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Betrachtung“. Hüttler denkt an eine „brauchbare außen liegende Verschattung“.
Auch die Nachrüstung mit Photovoltaik werde zunehmend zum Standard, vor allem dort, wo ein hoher Grad an Eigennutzung gewährleistet ist, so Hüttler. „Das kann beispielsweise in Verbindung mit Speichern oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge erreicht werden.“ Darüber hinaus werden die Themen Barrierefreiheit, Sicherheit und Schaffung von Freiflächen – z. B. durch die Nachrüstung von Balkonen – auch in der Sanierung immer wichtiger.
Für die Nachrüstung von E-Ladestationen wiederum werden zukünftig Mindestanforderungen bei größeren Renovierungen in den Bauordnungen verankert werden, schätzt Hüttler, ähnlich wie diese schon jetzt im Neubau gelten. Und wie sieht das im Heizungsbereich aus? Der Umstieg auf erneuerbare Lösungen, wie sie jüngst auch mit der Novelle der Wiener Bauordnung und des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes (WWFSG) forciert wurden, nimmt zu. Hüttler: „Erdwärme in Verbindung mit Wärmepumpen und Niedertemperaturheizsystemen wird zunehmend auch im großvolumigen Segment umgesetzt und sie sind auch finanziell darstellbar“.
Die Moral der Geschichte
Abschließend der Nachtrag zur Kowloon Walled City: Im März 1993 starteten in Hongkong die Abbrucharbeiten für die einsturzgefährdeten Hochhäuser – und im Dezember 1995 wurde dort bereits ein Park (samt Museum zur Geschichte der „Ummauerten Stadt“) eröffnet. Die Moral dieser Geschichte: Man muss schon mit Hirn verdichten und sanieren, die „weniger gescheite Lösung“ wird freilich – in Zeiten grassierender Versiegelung – immer der Neubau sein.
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