355 Naturstein

Stein bringt Farbe ins Leben

Alle Fotos: © Richard Watzke
Logenplatz: Die Nische schafft Platz für Utensilien im Bad. Links: Wetterfester Tisch aus gebürstetem Granit Steel Grey
Alle Fotos: © Richard Watzke

Die größte Konstante im Leben ist der Wandel. Niemand kann sich dem entziehen, doch mit Naturstein schafft man dafür die schönsten Rahmenbedingungen.

von: Richard Watzke

In schöner Regelmäßigkeit verführen uns Designer mit neuen Reizen. Vor allem Farbgebung und Formensprache senden Signale an die Konsumenten: Dieses Produkt ist etwas Besonderes, es ist neu und begehrenswert. Damit geht stets auch ein Versprechen einher. Wer sich für dieses Produkt entscheidet, fühlt sich besser, wohnt komfortabler, kocht gesünder, schläft besser oder hat mehr Spaß mit Freunden. Womit wir bis dahin zufrieden waren (weil wir es erst kürzlich erworben haben), scheint plötzlich von gestern und unattraktiv, kurz: ziemlich uncool. Der Mechanismus bewährt sich seit Jahrzehnten, obwohl wir wissen, dass der beworbene Gegenstand in 99 Prozent der Fälle nicht so neu ist, wie wir glauben sollen. Ein Rennrad vom Modelljahr 2021 – sofern es derzeit angesichts der Knappheit an Containern und Schiffen überhaupt lieferbar ist – bringt uns nicht schneller den Berg hinauf als das Vorjahresmodell, und trotzdem gehen wir unbewusst davon aus, dass das neue Bike ein klein wenig leichter rollt. Unser gesamter Alltag ist voll von solchen Verführungen und Glücksversprechen, und obwohl unsere Vernunft es besser weiß, erliegt ihnen unser Bauchgefühl mit erstaunlicher Regelmäßigkeit. Bauch schlägt Kopf, das haben die industriellen Hersteller auch im Baubereich längst verinnerlicht. Entsprechend stehen bei der Werbung für Keramik-Bodenfliesen nicht Fakten wie die Erfüllung einer Rutschhemmungsklasse, sondern Emotionen im Mittelpunkt: Wer diese Fliesen kauft, ist nach dem Duschen superfit für den ganzen Tag. Welche Unmengen an Energie der Pro­duktionsvorgang der Keramikplatten verschlingt, wird dabei vollkommen außer Acht gelassen, ebenso die Kurzlebigkeit des Werkstoffs. Weil Reparaturen und Nachbesserungen des spröden Werkstoffs kaum möglich sind, zwingt ein Riss unweigerlich zum Austausch ganzer Bauteile.

 

Langfristig investieren
Der Duden definiert Konsum als die Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung durch private oder öffentliche Haushalte. Worin genau dieses Bedürfnis besteht und wie es sich befriedigen lässt, hängt von den individuellen Vorlieben, Gewohnheiten und natürlich auch vom Budget ab. Beim Bauen und Wohnen hat dies zu einem unüberschaubaren Warenangebot in jeder Produktgruppe geführt – von Baumarkt bis Manufaktur ist alles dabei. Während die einen über den Preis verkaufen, setzen die anderen auf Exklusivität. Wer billig kauft, kauft doppelt, sagt der Volksmund. Das ist nicht nur teurer, als wenn man gleich das hochwertigere Produkt gewählt hätte, sondern auch schlechter für die Umwelt. Zweimal Verpackung und Versand, mehr Rohstoffverbrauch, mehr Restmüll. Die Rechnung ist eindeutig.
Beispiele einer Gegenbewegung zum kurzlebigen Konsum gibt es immer öfter. Spätestens seit Beginn der Coronakrise stellen wir fest, wie abhängig wir von Lieferungen aus Fernost sind, wie fragil Lieferketten sind. Der schon lange bestehende Trend zu regionalen Produkten und Herstellern gewinnt dadurch an Schwung. Vom steigenden Umweltbewusstsein profitieren vor allem die heimischen Anbieter, die auf eine nachhaltige Produktion achten. Regional ist aber nicht nur vorteilhaft für die Umwelt, sondern auch für den Geldbeutel. Bleibt die Wertschöpfung in der Region, profitiert nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern auch die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter, denn heimische Produzenten und Verarbeiter binden wertvolles Know-how in der Region. Wenn die Europäische Union per Gesetz Hersteller zur Reparierbarkeit ihrer Produkte zwingt, kann das nur gut für unsere Umwelt sein.
Reparieren statt wegwerfen ist ein weithin bewährtes Prinzip. Ein kleiner Exkurs: Die auch jenseits der Grenzen Österreichs immer bekannteren Waldviertler Schuhe sind modisch nicht der Dernier Cri und preislich auf beachtlichem Niveau, doch das ficht die wachsende Fangemeinde nicht an. Sie schätzen vielmehr die handwerkliche Qualität, Dauerhaftigkeit, Nachvollziehbarkeit der Lieferkette und Reparierbarkeit der robusten Schuhe. Wer Waldviertler kauft, will und wird sie viele Jahre lang tragen.

Stein heißt Vielfalt
Damit kehren wir zurück zum eigentlichen Thema Naturstein. Auch der Rohstoff Naturstein und die Projekte daraus sind vom Wandel betroffen. Technisch, weil computergesteuerte Maschinen Werkstücke präziser und schneller aus den Rohplatten sägen, und global, weil Natursteine aus allen Teilen der Welt lieferbar sind. Das war nicht immer so. Bis weit ins 20. Jahrhundert war Naturstein ein überwiegend regionales Baumaterial, alleine schon wegen der Schwere der Rohblöcke, die bevorzugt in der Nähe der Baustelle gewonnen und verar­beitet wurden. Mit der Globalisierung kamen unzählige neue Sorten an die Fassaden, in die Bäder und in die Küchen. Besonders auffällig sind die farbenprächtigen sogenannten Exoten aus Südamerika, aus Nordafrika, aus Madagaskar und von vielen anderen Fundorten. Gewolkt, gezackt, gestreift, jede Textur und Farbe hält Mutter Natur bereit. Für Expressive, für Klassiker, für Puristen, Traditionalisten, für den Landhausstil ebenso wie für das urbane Loft. Regel­mäßig werden bislang unbekannte Vorkommen von Steinscouts erschlossen und von Steinmetzen und Naturstein­werken in Küchenarbeitsplatten, Duschrückwände, Terrassen, Stiegen und vieles mehr verwandelt. Manche Vorkommen erstre­cken sich über ein großes Areal und reichen für Generationen, von einzelnen Sorten sind nur wenige Rohblöcke an einer einzigen Abbaustelle verfügbar. Wie überall gilt auch hier, wer es ganz besonders exklusiv will, zahlt mehr. Sogenannte Super­exoten unter den Steinen sind in erster Linie optisch außergewöhnlich. Über die technischen Eigenschaften eines Gesteins sagt die Verfügbarkeit wenig aus, im Gegen­teil. Während die allermeisten Materia­lien aus Europa ohne zusätzliche Ver­stärkungen auf der Plattenrückseite auskommen, sind etliche exotische Steine rückseitig mit Glasfasermatten armiert und vorwiegend für dekorative Aufgaben oder statisch weniger beanspruchte Projekte wie Duschrückwände, Möbel, Küchen oder Theken geeignet. Wer vorwiegend auf Faktoren wie Robustheit und jahrzehntelange Nutzung im Außenbereich wert legt, greift immer öfter zu Steinen aus der näheren Umgebung, die zugleich eine Verbindung zum Ort schaffen.

Steine vom Ort
Nach wie vor werden einzelne Regionen von bestimmten Steinsorten geprägt. Graue Gneise sind untrennbar mit dem Tessin verbunden – davon zeugen nicht nur Werke von Mario Botta. Rote Sandsteine aus dem Maingebiet sind typisch für die Innenstadt von Frankfurt am Main, Rom ohne Travertin aus Tivoli ist undenkbar, Adneter und Untersberger Marmor sind charakteristisch für private und öffentliche Bauten in Salzburg, im Mühl- und Waldviertel baut(e) man gut und gerne mit den lokalen Graniten.
Bei all der steinernen Vielfalt kommt es immer auf die individuellen Anforderungen und Wünsche der Auftraggeber an. Ob sich ein unifarbener oder ein lebhaft strukturierter Stein besser eignet, wird im Idealfall bereits in der Planungsphase zwischen Designer, Architekt und Steinverarbeiter geklärt. Einfluss auf die Materialwahl haben auch die Raumgröße und die Kombination mit anderen Werkstoffen.
Ein Beispiel, wie facettenreich Naturstein genutzt werden kann, zeigt eine Niederlassung vom Delikatessenanbieter Julius Meinl: Solnhofner Kalkstein dient als Bodenbelag, Theken in der Abteilung Kaffee und Tee sowie das Restaurant und die Servicestationen wurden von Martin Luptacik vom Wiener Architekturbüro Next Office mit Nero Assoluto ausgestattet. An der Bar erstrahlt hinterleuchteter Onyx Caramello, die Fleischabteilung zeigt Bianco Carrara C, der Fischbereich erhielt Werkstücke aus dem Hartgestein Brown Antique, die Käseabteilung ziert Ivory Brown. Für die Kundschaft formieren sich alle Natursteine zu einem Raumeindruck, der den hochwertigen und eleganten Rahmen für das Einkaufs­erlebnis bietet. Auf so elegante Weise mit natürlichen Zutaten verführt zu werden ist nicht nur gesund, sondern sogar ziemlich cool.

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