Es war eines der Vorzeigeprojekte im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Wien 2022: das „Forum am Seebogen“ in der Seestadt Aspern. Die Wien 3420 – Aspern Development AG als Grundstückseigentümer lobte im Jahr 2018 einen Bauträgerwettbewerb für ein nutzungsoffenes Stadthaus aus, in dem Wohnen, Arbeiten und kulturelle Vermittlung untergebracht werden sollten. Im Wettbewerbsverfahren wurde gefordert, den Fokus auf dem Potenzial der industriellen Vorfertigung von Bauteilen in Bezug auf die Faktoren Baukosten und Bauzeit zu legen. Die Bauzeit sollte maximal sechs Monate betragen, im Projektteam war ein Systemanbieter verpflichtend zu nennen, der vorgefertigte Elemente selbst produzieren und eine Preis- und Zeitgarantie abzugeben hatte.
Sieger wurde die gemeinnützige Wohnbaugesellschaft Familienwohnbau gemeinsam mit dem Architekturbüro heri&salli aus Wien, der Landschaftsarchitektin Liz Zimmermann und dem Generalunternehmer Strobl Bau. Als Ausgang für die Gebäudestruktur wurden die Themen „flexibel“ und „seriell“ definiert. Die Architekten machten das konstruktive Raster als wesentliches Gestaltungselement des Gebäudes sichtbar, das äußere Erscheinungsbild spiegelt die Möglichkeiten von seriellen Fertigungsmethoden und räumlichen Konfigurationen im Inneren wider.
Variationen und Kombinationen
Forum am Seebogen, Bauplatz H7A, Wien / heri&salli Architekten
Ungewöhnlicher Holzbau
Für die Jury war es auf den ersten Blick ein ungewöhnlicher Holzbau, den das Team präsentierte. Bei näherer Betrachtung erst wurden jedoch einige Qualitäten sichtbar. Die differenzierte Fassadengliederung sei nicht aufgesetzt, sondern entwickelte sich aus der inneren Baukörperlogik. Durch das fast zufällige Stapeln der modularen Raumzellen seien im Innenbereich interessante Erschließungsführungen mit Aufenthaltszonen entstanden, die außen ein Gebäude mit gleichwertigen Ansichten sowie interessanten Loggien- und Erschließungsräumen mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen lassen. Als „ingenieurmäßig spannende Herausforderung“ sah die Jury das „undisziplinierte, aber deshalb eben interessante Stapeln der Module und das Mischen mit einem Stabtragwerk für die Erschließungs- und Loggienbereiche“.
In den Obergeschoßen entwickelte das Team unterschiedliche Wohnungstypologien über Variationen und Kombinationen vorgefertigter Holzelemente und Holzmodule. Grundmodule für die Wohnungskonfigurationen, Erweiterungsmodule, Zuschaltbarkeiten und Freiflächen als Terrassen oder Erschließungen bieten eine Vielfalt an Möglichkeiten. Die ersten fünf Obergeschoße wurden in Holzelementbauweise, das sechste Obergeschoß aus vorgefertigten Holzgrundmodulen realisiert. Kleine Einheiten können als Mini-Labs, Micro-Working-Units oder Shared Infrastructure genutzt werden und fügen sich in die Struktur genauso ein wie eine Fläche für Activity-Based-Working im Dachgeschoß.
Ausgehend vom öffentlichen Raum bilden sich somit unterschiedliche Kommunikationszonen über die Geschoße in das Gebäude. Durch die großzügige Öffnung der Sockelzone entsteht ein Durchgang zur halbprivaten Zone des Nachbarbauplatzes.
Potenzial als IBA-Kandidat
Der hohe Vorfertigungsgrad der modularen Raumzellen in Kombination mit einem Stabtragwerk bei sehr hohen Ansprüchen an die Architektur veranlasste die Veranstalter der Internationalen Bauausstellung 2022 in Wien, das Projekt „Forum am Seebogen“ zum IBA-Kandidaten zu ernennen. Die Möglichkeiten der Holzmodul- und Systembauweise seien hier weiterentwickelt und in innovativer Weise ausgelotet worden, trotz der Vorfertigung unterschiedliche Raumlösungen und Wohnungstypologien möglich gewesen. Auch die sozialen Aspekte des Quartiers wie die Entwicklung von speziellen Typologien zum Thema Arbeiten und Wohnen, die Sharingkonzepte oder das nutzungsoffene Forum im Erdgeschoß haben das Potenzial, den Diskurs zum Thema industrielle Vorfertigung im Wohnbau weiterzuführen. Mit der IBA stellte sich Wien die Aufgabe, wegweisende Lösungsvorschläge und Zugänge zu den Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln. Im Zentrum stand das Thema des „Neuen sozialen Wohnens“.
„Gemeinschaften zu bilden ist eine der maßgeblichen Errungenschaften von Architektur.“
heri&salli ist ein Studio für Architektur, Design und urbane Entwicklungen mit Sitz in Wien. Gegründet 2004 von Heribert Wolfmayr und Josef Saller, verstehen heri&salli die Gestaltung unserer Umwelt als Symbiose unterschiedlicher Disziplinen. Nachhaltigkeit, Resilienz, Technologie und Innovation sind die Basis von kreativen Prozessen, um für die Menschheit lebenswerten Raum zu schaffen.
heri&salli Architektur ZT GmbH
Wien
Gegründet 2004
heriundsalli.com
Projekt
Forum am Seebogen, Bauplatz H7A, Eileen-Gray-Gasse 2, 1220 Wien
Bauherr
Familienwohnbau gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft m.b.H., Wien
Architektur
heri&salli ZT GmbH, Wien
Landschaftsplanung
Paisagista Ingenieurbüro für Landschaftsarchitektur, Wien
Tragwerksplanung
Werkraum Ingenieure
Hnik Hempel Meler ZT GmbH, Wien
Generalunternehmer/Bauarbeiten
Strobl Bau – Holzbau GmbH, Weiz
Projektdaten
Grundstücksfläche: 800 m²
Bebaute Fläche: 480 m²
Nutzfläche: 1635 m²
Bruttogeschoßfläche: 2500 m²
Projektablauf
Wettbewerb 04/2018
Planungsbeginn 06/2018
Baubeginn 03/2021
Fertigstellung 08/2022
Materialien
Bauweise: bis 3. OG schichtverleimte Holzplatten 12–22 cm, darüber Pfosten-Riegel-Konstruktion
Wärmedämmung: Mineralwolle
Bodenbeläge: Wohnungen Holzparkett, Gänge Betonfertigteile grau, Bäder Fliesen
Wettbewerbsdokumentation
ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE 4/2018 (339)
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