Der Garten als Wohnzimmer

© Ute Stehlmann
Das Garagendach ist so in das Grundstück integriert, dass die Fläche als Teil des Gartens nutzbar ist.
© Ute Stehlmann

Der Wettbewerb „Gärten des Jahres“ zählt zu den wichtigsten Branchenevents.

Zum fünften Mal lobte der Callwey Verlag den Wettbewerb Gärten des Jahres aus und suchte die besten von Landschaftsarchitekten / Garten- und Landschaftsbauern gestalteten Privatgärten im deutschsprachigen Raum. Die Jury erkor 50 Projekte und benannte aus diesen einen Preisträger und vier Anerkennungen als „Gärten des Jahres 2020“. Dabei wurde Wert auf ganzheitliche Konzepte gelegt, die den Garten auf individuelle Weise zum erweiterten Wohn- und Genussraum des Nutzers werden lassen. Es sollte eine starke Idee dahinterstecken, der sich Pflanzen, Materialien, Produkte etc. unterordnen.

Atmosphäre ist alles
Den ersten Preis erhielt das Büro gartenplus – die gartenarchitekten für den Garten ­„Atmosphäre ist alles“ in Düsseldorf. Dieser kleine Stadtgarten in Rheinnähe beweist, dass Größe allein nicht alles ist. Er misst gerade einmal 170 Quadratmeter und bietet so viel Atmosphäre, so viel Geborgenheit und Wohnlichkeit, dass man am liebsten selbst auf einem der Holzstühle unter dem Blätterdach der Birnen Platz nehmen würde. Oder im Schatten eines mehrstämmigen Apfeldorns auf einem der Sitzwürfel aus Holzlamellen. Dieser kleine grüne Rückzugsraum ist eine gelungene Ergänzung zum denkmalgeschützten Altbau mit Backsteinfassade. Das Grundstück ist lang und schmal, mit Grenzmauern aus Backstein. Genutzt wurde der kleine Stadtgarten vor der Umgestaltung kaum, eigentlich wurde er nur zum Rasenmähen betreten. Nun sollte die verwilderte Rasenfläche endlich ein Freiluftgartenzimmer werden. „Die Gartengröße braucht keine Rasenfläche. Und die Bauherren, die sich eine grüne Oase in der Stadt vorstellten, ließen sich darauf ein“, sagt Simon Leuffen, Landschaftsarchitekt vom Team gartenplus. Die Entscheidung, auf Rasen zu verzichten, erleichtert nicht nur die Pflege, sondern erzeugt auch den wohltuenden Oasen-Charakter mitten in der Großstadt.

Dafür wurde nahezu alles verändert, lediglich die Backsteinmauern an der Grundstücksgrenze sowie ein Ahorn blieben erhalten. Bei einem so kleinen Grundstück ist die räumliche Aufteilung entscheidend, welche die Landschaftsarchitekten mit verschiedenen Ebenen und Nischen sehr geschickt lösten. Der Garten bekam eine zweite Terrasse, die, abgerückt vom Haus, im Grünen liegt. Ein Weg verbindet die Sitzbereiche miteinander, der durch die flächig grüne Bepflanzung mäandriert. Seine Kanten verlaufen unregelmäßig und werden von Thymian überwachsen.

Der Garten der zehn Jahreszeiten
Einen der vier Anerkennungspreise bekam der „Garten der zehn Jahreszeiten“ in Köln vom Planungsbüro Garten und Freiraum. Auf diesem Grundstück am Niederrhein kann man den Wandel der Jahreszeiten hautnah erleben. Dabei existierte dort vor einigen Jahren nichts als ein landwirtschaftliches Feld. Als die Familie den alten Aussiedlerhof erwarb, stand das Haus noch auf freier Fläche und war von der Straße aus komplett einsehbar. Die Landschaftsplanerin Brigitte Röde gestaltete daraus einen vielfältigen Familiengarten, der Vorbild­charakter in Sachen Pflanzenverwendung hat. Doch zunächst ging es der Landschaftsarchitektin darum, eine Gliederung für die schwierige Grundstücksform zu finden: und zwar, indem sie die große Fläche in unterschiedliche Gartenzimmer aufteilte und gestaltete. Dafür lieferte der jeweilige Sichtbezug zu den Raumnutzungen des Hauses einen ersten Anhaltspunkt. Eine Rolle spielte auch der Himmel mit seiner großen Bandbreite an zyklischen Veränderung. „Weiße Schäfchenwolken, Gewitterwolken, schnell treibende Wolkenberge, Zirruswolken in großer Höhe, Sonnenauf- und -untergänge – all das beeinflusst die Atmosphäre eines Gartens“, sagt Brigitte Röde. Im Staudengarten lässt sich der Wandel der Natur besonders gut beobachten. Entlang einer sich verjüngenden Rasenachse warten doppelseitige Staudenbeete mit all ihrer Schönheit und Vielfalt auf – nach dem Vorbild der englischen double borders. Vielleicht ist der Spätherbst aber am reizvollsten, wenn der Raureif die feinen Strukturen der Halme, Blätter und Blütenstände auf das Genaueste herausarbeitet. Vom Fenster im Wohnzimmer blickt man dann auf diese wunderbare Impression der Vergänglichkeit bis zu einem Podest mit Sitzplatz, das den Endpunkt der Blickachse bildet. Ausgehend vom Staudengarten, schließen sich weitere Gartenräume an, welche von Hainbuchenhecken unterteilt werden. Sogar an einen Küchengarten wurde gedacht – eine einstmals zentrale Einrichtung, die in unserer Zeit immer mehr in Vergessenheit gerät.

Küstenträume im Garten
Einen weiteren Anerkennungspreis gab es für Ilka Mahro Gartengestaltung und ihre „Küstenträume im Garten“ im deutschen Sierksdorf. Dieser pflegeleichte Gräser­garten mit Strandatmosphäre ist ein gelungenes Beispiel für eine landschaftsgerechte Pflanzenverwendung. Auslöser für die Umgestaltung war die Modernisierung des regionaltypischen Klinkerhauses und ein Neubau mit Holzfassade, der quer zum Haupthaus errichtet wurde. Da wollte der alte Garten nicht mehr so recht dazu passen. Also wurden die überwachsenen Rosenbeete und Pflasterflächen aufgelöst, um der Leichtigkeit in Form von Gräsern und Stauden Platz zu machen. Die Formensprache des schlichten Neubaus sollte sich auch im Außenraum fortsetzen. Von den großen Panoramafenstern blickt man nun auf weiche Gräsertuffs, die von einer Brise sanft geschaukelt werden. Breite, rechteckige Holzpodeste führen von der Terrasse durch die bewegten Gräserfelder in den unteren Bereich, der mit einer Rasenfläche und Sträuchern unverändert blieb. Die Podeste sind seitlich versetzt – das vergrößert den Gartenraum optisch. Auf ihre Pflanzung hat Ilka Mahro 20 Zentimeter Sand aufge­bracht – um die Strandatmosphäre zu betonen und Unkraut zu unterdrücken. Das kam dem Wunsch der Bauherren nach einem pflegeleichten Garten entgegen. Diesen gefiel die Idee so gut, dass sie auch den Innenhof zwischen Klinkerhaus und Neubau im gleichen Stil umgestalten ließen. Mit rostiger Feuerschale und Findlingen ist das Gartenbild nun stimmig bis ins kleinste Detail.

Oberbayerisches Lebensgefühl
„Oberbayerisches Lebensgefühl in Grün“ vermittelt Christina von Burkersrodas Gartendesign für ein Grundstück am Starnberger See, das ebenfalls einen Anerkennungs­preis erhielt. Passend zum neu errichteten Einfamilienhaus mit Satteldach und vorvergrauter Fassade aus Lärchenholz in einer weichen hügeligen Landschaft wurde die Raumgestaltung mit ihrer Offenheit im Innern im Garten weitergeführt, die Linienführung ist am Wohnhaus ausgerichtet. Dafür musste zunächst die Topografie neu modelliert werden, da das Haus tiefer ins Gelände platziert worden war. Damit Haus und Garten zusammenpassen, hat sich die Gartendesignerin in puncto Materialwahl an der Gebäudefassade orientiert. Das Fugenbild der Fassade wurde so exakt aufgenommen, dass auf je zwei Fassadenlatten genau eine Terrassendiele trifft.

Die Pflanzen schaffen eine natürliche Atmosphäre zu den linearen Strukturen. Staudenbeete in kühlen Farben strukturieren den hinteren Bereich und trennen die Gartenräume, ohne scharf abzugrenzen. An der großen Terrasse sorgt ein mehrstämmiger Zierapfel für Raumstruktur und schafft einen weichen Übergang zum höheren Baumbestand. Im schattigeren Bereich am Pool hat die Landschaftsgestalterin mit kontrastreichen Farben gearbeitet: Das helle Laub des Japanischen Gold-Ahorns leuchtet vor dem Dunkelgrün der Hecke besonders strahlend. So ist ein Familiengarten mit Vorbildcharakter entstanden, der durch seine Natürlichkeit und freundliche Atmosphäre besticht.

Klassik trifft Moderne
Für ihren klassisch-eleganten, in den Farben Grün und Weiß gehaltenen Villengarten, der gleichzeitig zeitgemäße Gestaltungselemente enthält, erhielten WKM Landschaftsarchitekten aus Düsseldorf den vierten Anerkennungspreis. Das Haus wurde renoviert und es kam eine neue Garage dazu. Klaus Klein integrierte das Dach der Garage so in das Grundstück, dass die Fläche als Teil des Gartens mit Glaspavillon und Holzdeck nutzbar ist. Dies gelang so gut, dass der Übergang der Rasenfläche zur Dachfläche kaum erkennbar ist. Durch die Verlängerung des Gartens auf das Garagendach wurde außerdem eine größere Raumtiefe erzielt. Eingebettet ist dieser zeitgemäße Dachgarten in ein luftig-leichtes Feld aus Lampenputzergräsern und den kugelrunden lila Blütenköpfen des Zierlauchs, die als strukturgebende Farbtupfer zwischen den Halmen aufleuchten. Einzelne mehrstämmige Felsenbirnen ragen aus dem Gräserfeld und fungieren als Raumbildner. Um eine Einheit zwischen Hinzu­gekommenem und Vorhandenem herzustellen, überarbeitete Klaus Klein auch den alten Teil am Hang. Neue Wege und Sitzplätze wurden angelegt und mit Stein­setzungen abgesichert, sodass man den Garten aus verschiedenen Perspektiven erleben kann. Entgegen des derzeit herrschenden Zeitgeistes wurde das alte Schwimmbecken am Haus zurückgebaut. So konnte eine großzügige Terrasse aus polygonal zugeschnittenem Kalkstein entstehen, die für zusätzliche Raumtiefe sorgt. Auf den Klimawandel wurde mit ausgefallenen wärmebedürftigen Gewächsen wie Sternjasmin entlang des Zaunes zur Straße oder der Orangenblume als immergrünes Highlight zwischen den Gräsern reagiert.

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