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Dimmbare Glaskuppel fürs Parlament

© Parlamentsdirektion / Johannes Zinner
Schaltbares Glas verändert selbsttätig die Lichtdurchlässigkeit je nach Bewölkung oder Sonnenstand.
© Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Für Transparenz soll das gläserne Element am Dach des Hohen Hauses symbolisch stehen. Die Tönung des Glases reguliert sich je nach Sonnenstand von selbst.

von: Peter Matzanetz

Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. So heißt es in der Baustellen-Ankündigung bei der Parlamentsdirektion, und wenn man das offizielle Bautagebuch verfolgt, sieht man, dass tatsächlich einiges los ist auf der Baustelle, die aus heutiger Sicht vier Jahre in Betrieb sein wird. Das neue zentrale Bauelement am Dach ist eine Glaskalotte mit 500 verbauten Scheiben. Da diese in Meridianen angeordnet sind, waren hier Einzelzuschnitte notwendig. Jedes Glaspaneel hat genau seinen Platz, wobei maximal vier Geometrien gleichen Zuschnitts vorkommen. Dreifach-Isolierglasscheiben aus teilvorgespannten Gläsern im Verbund garantieren die Betretbarkeit auch bei Glasbruch, heißt es bei der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), die das Baumanagement übernommen hat. Als konstruktive Herausforderung wird das Glasgewicht der Isolierglasebene genannt, wobei dies im Wesentlichen dem Üblichen bei Überkopf-Wärmeschutzverglasungen entsprechen würde.

Öffnung nach außen
Im August wurde verlautet: „Die Gläser sind montiert.“ Nicht irgendein Glas, sondern elektrochromes Glas wurde verbaut, welches damit Blend- und Überhitzungsschutz garantieren soll. Grundsätzlich übernehmen hier Tageslichtsensoren die Steuerung, wobei diese auch manuell aus dem Saal übernommen werden kann. Damit nicht jede Wolke eine Dimmung auslöst, wird eine Trägheit bei der Steuerung eingestellt. Die Schwankungsbreite der Lichtdurchlässigkeit ist zwischen „normalen“ 46 Prozent und einem Minimum von 9 Prozent. Die Scheiben werden laut BIG zu keinem Zeitpunkt der Abdunkelung trüb oder milchig, womit der Tages­verlauf bzw. die Witterung stets klar wahrnehmbar bleiben. Der Wärmedurchlass schwankt aber dann je nach Dimmung zwischen g-Wert 0,32 und 0,08. Der U-Wert wird mit 0,8 angegeben, wobei dieser am horizontalen Einbau bemessen ist. Laut Glassolutions Austria funktioniert elektrochromes Glas über Flüssigkristalle, die in einer Glasschicht frei be­weglich sind. Deren Ausrichtung und gleichzeitig auch der Tönungs­effekt lassen sich steuern. Der freie Blick durch das Glasdach wird von der Parlamentsdirektion als Symbol für Transparenz gesehen, was dem Gebäude so etwas wie eine Corporate Identity verleiht. Im Dachbereich entsteht außerdem ein Restaurant inklusive 400 Quadratmetern Terrassenlandschaft mit Panoramablick, das auch der Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Um das letztlich zu ermöglichen, war eine Zwischendecke aus Milchglas, die zuvor bestand, entfernt worden. Die bisherige Konstruktion sei auch bereits undicht gewesen.

Baustelle über der Baustelle
Ein Jahr lang war das Dach des Hohen Hauses geöffnet gewesen und alles darunter somit der Witterung ausgesetzt. Um Bauschäden vorzubeugen, hat man mit Abdeckungen gearbeitet, aber auch drainagiert. Die Sitzränge waren sowieso zur Restaurierung bereits abtransportiert und die Boden­beläge abgetragen. Als Basis für das Kuppelelement dient ein massiver Stahlring, der über einen Zusatzrahmen noch einmal gefasst ist. Das Völkermarkter Stahlbauunternehmen Urbas hatte jene Bauteile geliefert, welche bis zu 33 Meter lang sind und bis zu 50 Tonnen wiegen. Nachdem der Stahlring eingebracht war, wurde das Dach mit einem dichtenden Provisorium vorübergehend geschlossen. Von hier konnte die Arbeiterschaft den weiteren Aufbau ab­wickeln. Eine sogenannte Gitternetzschale aus Stahl wurde über der Basis hochgezogen. Darunter ist eine bauliche Struktur zu verstehen, in die das Glas vor Ort eingesetzt wurde. Der Träger für die Glaspaneele, also jenes „Gitternetz“, misst 28 Meter im Durchmesser mit einer Stichhöhe von 3,8 Metern und überspannt eine Fläche von rund 550 Quadratmetern. „Ich sehe diese innovative Konstruktion als wesent­lichen Beitrag“, beschreibt der technische Planer Ortfried Friedreich die bautechnische Bereicherung. Was dann im März passiert ist, war der Baustopp, denn von der Sonder­situation mit COVID-19 war auch die prominenteste Bau­stelle des Landes betroffen. Nach einem Verdachtsfall war der Betrieb kurzzeitig zur Gänze eingestellt. Aufgrund der restriktiven Maßnahmen wird auch nach Wiederaufnahme von einem stark eingeschränkten Betrieb berichtet. Sowohl der Einsatz von Arbeitskräften als auch Lieferungen aus dem Ausland waren schwer möglich. Auch die Gläser konnten momentan nicht geliefert werden. In den Sommermonaten wurde dann das Glasdach fertig errichtet.

Der lange Weg
Im Jahr 2014 war der Beschluss gefasst worden, das Parlamentsgebäude umfassend und nachhaltig zu sanieren, und europaweit war zweistufig die Vergabe einer General­planung ausgeschrieben worden. Die Bietergemeinschaft Jabor­negg & Pálffy Architects in Kombination mit dem Ziviltechnikbüro Axis konnte hier überzeugen und erhielt den Auftrag. Die budgetierten Kosten sind über das Parlamentsgebäudesanierungsgesetz in der Höhe von 403,60 Millionen Euro inklusive Steuern festgeschrieben worden, wobei 51,40 Millionen davon für das Ausweichquartier und die Übersiedelung eingesetzt wurden. Aufwendungen, die vor dem Mai 2012 angefallen sind und die Eigenkosten von 30,80 Millionen Euro sind nicht eingerechnet. Laut Rechnungshofbericht von 2017 wären 76,3 Millionen Euro des Projektbudgets für Unvorhergesehenes reserviert. Beim Ingenieurbüro Axis heißt es, dass erstmalig bei einem öffentlichen Gebäude in Österreich die Methoden Value Engineering und Target Costing zur Kostensicherung eingesetzt werden.

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