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Flüchtlingskrise und Baukultur

© Bohmann Verlag / Helmut Lunghammer

Vertreter von Politik, Architektur, Wohnbauträgern, Baugewerbe und Baustoffindustrie diskutierten Auswirkungen und Herausforderungen der Flüchtlingskrise. Veranstalter war das Architekturjournal wettbewerbe gemeinsam mit der Plattform BAU!MASSIV!

von: Roland Kanfer

Die Flüchtlingskrise in Österreich und Deutschland beschäftigt auch die Architekturschaffenden. Während sich „Starchitects“ wie Wolf D. Prix abfällig über „Barackenromantik“ und „Sozialbaumeisterei“ äußern, machen sich Architekturinitiativen, NGOs und Hochschulen Gedanken, wie man auf den steigenden Bedarf nach schnell errichteten, praktischen, günstigen und trotzdem halbwegs menschenwürdigen Wohnmöglichkeiten reagieren kann.

Wie etwa „Architektur ohne Grenzen Austria“ (AoGA): Der gemeinnützige Verein, Mitglied des internationalen Netzwerks „Architecture Sans Frontières International“, hat unter anderem die Wiener Caritas bei der Einrichtung einer Küche in einem Flüchtlingsheim beraten. Man sucht einen pragmatischen Zugang zum Thema. „Es zählen Zahlen, Daten, Fakten“, erläuterte Fabian Wallmüller, Architekt und AoGA-Vorstandsmitglied, anlässlich der Podiumsdiskussion „Flüchtlingskrise und Baukultur“. Die Statistik Austria prognostiziert einen – ohne Zuwanderung theoretischen –Rückgang der österreichischen Bevölkerung auf 6,2 Millionen im Jahr 2075. Die so genannte Willkommenskultur sei eine ökonomische Vernunftfrage, folgert Wallmüller und liefert eine Zahl des deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts nach: Demnach amortisieren sich die Ausgaben des Staates für einen Migranten nach drei bis zehn Jahren aufgrund der durch ihn generierten Mehrproduktion.   

800 öffentliche Gebäude nutzbar

Großes Potenzial für temporäre Unterbringungsmöglichkeiten für Asylanten ortete Wallmüller bei Gebäuden im öffentlichen Besitz: „500 öffentliche Gebäude sind sofort, 300 weitere mit Adaptierungen als Flüchtlingsunterkünfte nutzbar“. Für eine Aktivierung des Leerstands plädierte auch Martin Gruber, Sektionsvorsitzender der Architektenkammer Steiermark / Kärnten: „Eine Nutzung im Bestand ist sinnvoller als temporäre Neubauten.“

Die tatsächliche Verfügbarkeit von leerstehenden Flächen liegt allerdings laut Eva Bauer vom Verband der Gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs niedriger. Und zwar einerseits aus statistischen Gründen, aber auch, weil ein Teil des Leerstands den heutigen Standards nicht mehr entsprechen würde. Was Eva Bauer zu einer von der Wohnbauwirtschaft schon länger erhobenen Forderung führte: „Wir brauchen ein Segment im geförderten Wohnbau, das nicht alle Stückeln spielt!“ Die Flüchtlingskrise dürfe nicht als Ursache für eine notwendige Erneuerung im Wohnungsneubau gelten, meinte sie.

Diese Forderung fand Unterstützung bei Architektenvertreter Martin Gruber: Wesentlicher als Themen wie energetische Nachhaltigkeit im Wohnbau sei das, was Architekten bieten könnten – soziale und ökonomische Nachhaltigkeit etwa, also langfristig nutzbaren, menschenwürdigen Wohnraum. Gruber ortet ein gesellschaftliches Problem, das sich bei den verlangten Standards im geförderten Wohnbau widerspiegelt: Alles zu wollen, ohne etwas dafür ausgeben zu wollen.   

Steiermark: Ohne Bewilligung bauen

Das Land Steiermark hat im Vorjahr, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Bereitstellung und bewilligungsfreien Errichtung von vorübergehenden Betreuungseinrichtungen zur Grundversorgung geschaffen. Diese Verordnung ist bis Ende 2017 befristet. Die Steiermark sei bestrebt, Asylberechtigte in kleinen Einheiten unterzubringen, um die Kommunen nicht zu überfordern, berichtete Johannes Andrieu, Abteilungsleiter Wohnbau in der Landesregierung. Derzeit gebe es 540 Quartiere in 205 steirischen Gemeinden, so Andrieu.

Rudolf Leitner, Baumeister und Mitglied der Landesinnung Bau Steiermark, wies darauf hin, dass alle unter dieser Verordnung – in Leichtbauweise – errichteten Neubauten allerdings nach Ende der Frist wieder abzutragen seien. Hier sei die steirische Raumordnung gefragt, um die Möglichkeit zur Schaffung von „Vorratsraum“ zu bieten, so Leitner. Auch er plädierte für die Revitalisierung von Wohnraum, auch aus arbeitsmarktrelevanten Gründen: 5.000 Arbeitsplätze seien dadurch in der Steiermark entstanden. 

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