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Gute Argumente für die Massivbauweise

© Albrecht Imanuel Schnabel
Die Verbindung von Holz und Stahlbeton führt zu Gebäuden, die im Bereich Energieeffizienz punkten. (Bild: Volksschule Hallwang, Salzburg / LP Architektur)
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Die Ziele von Architektur und Klimaschutz sollen gleichzeitig realistisch und anspruchsvoll sein. Das macht die Auswahl der Baumaterialien und den gesamten Umsetzungsprozess zu einem wichtigen Faktor in der Klimabilanz.

von: Susanne Karr

Wie umweltverträglich oder umweltschädlich sind die Baustoffe in aktuellen Projekten wirklich? Beinahe alle werden als zumindest teilweise nachhaltig deklariert. Das verweist auf mehrere Zusammenhänge: Einerseits lässt sich die Forderung, umweltbewusst zu agieren, auch in der Baubranche längst nicht mehr ignorieren. Zudem ist das Label „Nachhaltigkeit“ stark positiv konnotiert. Technologische Fortschritte, Materialforschung und internationale Kooperationen haben dazu geführt, dass etwa Passivhäuser State of the Art in der Architektur geworden sind. Die Verwendung möglichst umweltneutraler Baustoffe soll die Ökobilanzen auf­bessern. Auf der anderen Seite werden bei Kostenrechnungen häufig immer noch nicht alle Parameter berücksichtigt, etwa was Entsorgung von Materialien aus Abrissen angeht. Die ökologische Forderung „reduce, reuse, re­cycle“ wird teils nur halbherzig angewendet. Zwar besteht ein Trend von Nach-, Zwischen- und Umnutzung bereits bestehender Gebäude, gemeinhin gilt aber meist doch der Neubau als begehrenswerter.

Beton immer schlecht?
Dabei wird häufig mit der Umweltfreundlichkeit der eingesetzten Materialien argumentiert. Bei einem näheren Blick gilt es, die Zuordnung gemeinhin gelobter bzw. geschmähter Baustoffe allerdings zu überdenken. So lässt sich etwa die Frage, ob Beton immer schlecht ist, wie bei einigen kritischen Anmerkungen immer wieder herauszuhören ist, nicht eindeutig mit „ja“ beantworten. Stabilität und Formvariabilität können durchaus gute Argumente sein. Beispielsweise im Hochhausbau. Mischtechniken, Beton-Holz-Konstruktionen, Kombi­nationen aus Bambus und Glas eröffnen neue Möglichkeiten.

Plantagen statt Wälder
Puristen sehen das kritisch. Ob das HoHo in der Seestadt Aspern in Wien eigentlich überhaupt als Holzhochhaus gelten darf, weil es einen Betonkern hat, gehört zu den häufig vorgebrachten Kritikpunkten. Denn ob Holz alleine immer das absolut beste Material ist, lässt sich kontrovers diskutieren. Zur funktionalen Statik trägt der Erschließungskern aus massivem Stahlbeton als Basis bei, hier setzt die Holztragekonstruktion auf. Diese sichere Basis dient dem Innenleben mit Stiegenhäusern und Liften. Dass eine natürliche Anmutung durch den Einsatz von Holz entsteht, ist unbestritten. Die Sicht- und Spürbarkeit der Holzflächen gehört zum Kernkonzept des Gebäudes. Will das HoHo also nachhaltiger erscheinen, als es ist, und ist Holz überhaupt so nachhaltig? Die Beschreibung des Projekts verweist auf einen Vergleich, nach dem die Holzbauweise gegenüber einer Ausführung in Stahlbeton rund 2800 Tonnen CO2-Äquivalent einspart. Das entspräche ca. 20 Millionen Pkw-Kilometern oder 1300 Jahren täglich 40 Kilometer Autofahrt. Zudem wird eine Relation zwischen der Summe des für den Bau verwendeten und des in Gesamtösterreich produzierten Holzes angeführt. Die Rede ist von einem jährlichen österreichischen „Holz­überschuss“, von dem das Holzhochhaus weniger als ein Promille verwendet, indem in der gesamten Konstruktion ungefähr 4350 Kubikmeter Holz verbaut sind. Zudem sei das verbrauchte und verbaute Holz in weniger als eineinhalb Stunden nachgewachsen.

Solche Kalkulationen klingen spektakulär, mögen mehr oder weniger überzeugen, vor allem wenn man die Forstindustrie ein bisschen näher beleuchtet. Man muss bei der Holzindustrie mittlerweile eher von Plantagen als von Wäldern sprechen, wie Peter Wohlleben es ausdrückt. Ein Einwand seitens ökologischer Forstwirtschaft formuliert zudem, dass das nachwachsende Holz nicht von der gleichen Qualität sein kann, weil es erst stark werden muss. Zudem lässt die konventionelle Forstwirtschaft wenig Raum für Artenvielfalt. Einwenden kann man gegen die Argumentation auch, dass die Umrechnung auf Pkw-Kilometer nicht berücksichtigt, dass es in der nächsten Zeit zu einer Reduktion des Individual­verkehrs kommen muss.

Allianzen von Holz und Beton
Der Holzhochhausbau verwendet viel von dem präparierten Holzmaterial, das als CLT (cross laminated timber) international eingesetzt wird. Ist diese Art Brettschichtholz die zukünftige Version des Betons? Der bisherige Einsatzbereich von Beton bietet die Vorteile, bei relativ großer Gestaltungsfreiheit schnell und stabil Gebäude zu errichten. Ähnliche Eigenschaften weist auch CLT auf. Anders als beim traditionellen Schichtholz reduziert die Anordnung der Längs- und Querschichten die natürlichen Kontraktions- und Dehnungsgrade, gleichzeitig erhöhen sich statische Belastbarkeit und Formstabilität. Im HoHo finden sich 777 Stück blockverklebte Brettschichtholzstützen und Brettsperrholzwandelemente mit Exzellentoberfläche (eine neu­artige Form der Oberflächenbehandlung, die die Tragfähigkeit in puncto Riss- und Fugenbildung verbessert). Dieses Holz erreicht bei geringer Rohdichte eine hohe Tragfähigkeit. Ein Tannenholzwürfel der Kantenlänge vier Zentimeter könne vier Tonnen Gewicht tragen, heißt es auf der Website des HoHo.

Die Verbindung von Holz und Stahlbeton führt zu Gebäuden, die im Bereich Energieeffizienz punkten. Die zeigt sich bei einigen Projekten, die 2019 mit dem österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurden. Sowohl bei historischen, denkmalgeschützten Gebäuden wie dem Salzburger Justizzentrum, das bei der Sanierung den Massivbau mit neuen Stahlbetonteilen und alten Holztramdecken kombiniert, als auch in einer Mischung aus Adaptierung und Neubau einer Vorarlberger Schule, bei der Stahlbeton mit Steinwolledämmung und Holzschalung eingesetzt wird. Die Planung der Pavillons und der Cluster berücksichtigte zudem den alten Baumbestand, was im Sinne von Nachhaltigkeit zusätzlich überzeugt. Ein gesamter Schulneubau in Hallwang setzt ebenfalls auf eine Mischung aus Massivholz und Stahlbeton.

Ziegelstein: Aufwandsminimierung beim Energieverbrauch
Wie verhält es sich mit anderen Baumaterialien? Man nehme etwa den viel gelobten Ziegelstein. Zwar besteht er aus umweltfreundlichen Rohstoffen – im weitesten Sinne Erde und Wasser. Das Produkt Ziegelstein ist extrem haltbar – am umweltfreundlichsten aber in seiner ungebrannten Variante. Sagt die pakistanische Architektin Yasmeen Lari. Nach ihrer Karriere als Star­architektin und Brutalismus-Pionierin befasst sie sich seit Langem mit Post-Desaster-Architecture und er­richtet gemeinsam mit Menschen, die von Flut und Erdbeben betroffen sind, nachhaltige Gebäude. Dabei kommen ungebrannte Tonziegel, Bambus und Kalk zum Einsatz. Über 40.000 Unterkünfte sind bereits errichtet worden, mit Null-Kohlendioxid-Fußabdruck. Das hat wesentlich mit der Herstellung der Tonziegel zu tun. Die übliche Ziegelproduktion braucht nicht wenig Energie. Für Lari ein ausschlaggebender Grund, ausschließlich mit luftgetrockneten Ziegeln zu arbeiten, die vor Ort hergestellt werden, unter Einbindung der zukünftigen Bewohner. Man braucht weder Holz, Zement noch Stahl, um widerstandsfähige Gebäude zu errichten. Die von ihr geplanten und umgesetzten Gebäude haben bereits einigen Herausforderungen wie Überschwemmungen standgehalten.

Auch der hauptsächlich in London arbeitenden japanische Architekt Taro Tsuruta plädiert für achtsamen Umgang mit dem Rohstoff. Bei seinen Renovierungsprojekten beispielsweise werden zunächst die wiederverwendbaren Ziegelsteine sortiert, was zwar aufwendig ist, aber vor Ort, auf der zukünftigen Baustelle, geschehen kann. So wird gleichzeitig der Anfahrtsweg für neue Materialien eingespart und ein umweltbewusster Standpunkt gezeigt.

Es gibt in der Produktion von Ziegeln stetige Verbesserungen bezüglich Aufwandsminimierung beim Energieverbrauch in der Herstellung. So wird etwa die Abwärme aus Brennöfen zur Ziegeltrocknung genutzt, Wärmedämmung in den Produktionsanlagen insgesamt verstärkt und generell stark auf Wärmerückgewinnung gesetzt. Für den Prozess der Porosierung bei Wärmedämmziegeln setzt man vermehrt auf recycelte Materialien wie Sägemehl, Papierfasern oder Polystyrol. Außer­dem kann die positive Bilanz bezüglich Wärme­dämmung und langer Nutzungsdauer moderne Mauerziegel für Niedrigstenergiehäuser empfehlenswert machen.

Nachhaltige Kalkulationen
Allein dieser kleine Einblick schärft das Bewusstsein dafür, wie sehr sich nachhaltiges Energiemanagement im Bau auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit Primärenergie und Emissionen auswirkt. Dazu kommt ein verstärkter Fokus auf den Aspekt „graue Energie“, der wesentlich für die Betrachtung von Nachhaltigkeit ist. Was bereits an Aufwand im energetischen und materiellen Sinne in ein Gebäude hineingesteckt wurde, darf bei einer Kostengegenüberstellung nicht vernachlässigt werden. Ein Mindset, der bereits eingesetzte Baustoffe als Rohstoffe umzudeuten weiß, stellt hier andere als die traditionellen Kalkulationen auf.

Die Cradle-to-Cradle-Designphilosophie kann gut als Orientierung auch für nachhaltige Ökonomie in der Baubranche herangezogen werden. Der gesamte Prozess, nämlich Anbau bzw. Herstellung von Materialien über Verwendung und Nachnutzung ist darin einbezogen, Transport- und Entsorgungskosten inklusive. Biologische und technologische Ansprüche sollen in einem Kreislaufsystem korrespondieren. Recycling und Upcycling sind wesentliche Punkte in der Planung. Prävention von nicht wiederverwertbaren Stoffen gilt entsprechend als wichtiges Ziel, und dazu gehört die Vermeidung toxischer Inhaltsstoffe, die ein Produkt aus dem Zyklus der Wiederverwertbarkeit von vornherein ausschließen.

Prävention oder Verbrennung
Abfallmanagement für Holzmaterialien kann laut Cradle-to-Cradle-Kriterien wie folgt aussehen: Die bevorzugte Möglichkeit ist Prävention – völlige Vermeidung von Abfall; Voraussetzung ist selbstverständlich, dass Produkte keinerlei schädliche Zusätze aufweisen, zu 100 Prozent biologisch abbaubar sind. Die nächste präferierte Variante ist Wiederverwendung – entweder das gesamte Produkt oder dessen Inhaltsstoffe in einem neuen Setting wieder einzusetzen. Wenn Recycling nicht möglich ist, kann auch Energieerzeugung durch Verbrennung noch als nachhaltig akzeptiert werden, denn bei der Verbrennung wird nur das beim Wachstumsprozess gespeicherte CO2 wieder freigesetzt. Auch Ziegel sind in mehreren Varianten recycling­fähig. Abhängig vom vorigen Einsatzgebiet lassen sich Dach-, Mauer- und Pflasterziegel wiederverwenden. Voraussetzung ist ein sortenreiner Abbau. Im Straßenbau werden Altziegel verwendet, ebenso in der rohstoffschonenden Betonproduktion (R-Beton).

CO2-Absorber Beton
Und noch ein Ausblick in Richtung Beton. Als CO2-­Absorber eliminieren Betonflächen den Schadstoff aus der Luft. Die extreme Haltbarkeit gilt als wesentlicher Vorteil, und theoretisch lässt sich Beton auch wiederverwerten – etwa als Tragschicht im Straßenbau –, wenn denn Straßenbauten in Überlegungen mit Nachhaltigkeit überhaupt relevant sind. Temperaturen sind in Betongebäuden aufgrund der Luftundurchlässigkeit gut regulierbar – wie sich etwa im Pantheon in Rom, dem historischen Leichtbetonbau, erfahren lässt. Fürsprecher des Betons argumentieren auch mit den natürlichen Ausgangsmaterialien Kies, Sand und Wasser. Jedoch kommen in der Produktion teils giftige Zusatzstoffe zum Einsatz und die Kalksteinverbrennung stößt große CO2-Mengen aus. An ökologischen Alternativen wie Ökobeton, der die gleiche Leistung bezüglich Festigkeit trotz geringeren Zementgehaltes bringen soll, wird stetig geforscht. Oder auch an Verbesserungen, etwa Stahlfaserbeton, der sich für Bau­teile eignet, die Biegebelastungen ausgesetzt sind.

Insgesamt gibt die Environmental Product Declara­tion (EPD) klare Richtlinien zur Auswahl von Baustoffen. An erster Stelle steht die Überlegung zum Lebens­zyklus. Der Charakterisierung des Bauproduktes folgt die Auswahl eingesetzter Stoffe und Vorprodukte unter Berücksichtigung von Herstellung und Verarbeitung, eine realistische Kalkulation zur Nutzungsdauer und möglichen Nachnutzungsmöglichkeiten. Auf dieser Basis lässt sich eine Ökobilanz mit nachvollziehbaren Indikatoren erstellen.

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