Im Zeitgeist

© Hertha Hurnaus
Mit der Entfernung einiger Wände im Bereich des ehemaligen Vorraums ist eine zentrale Wohnküche entstanden.
© Hertha Hurnaus

Neugestaltung einer Altbauwohnung am Beispiel eines Gründerzeithauses in Wien-Neubau / Veit Aschenbrenner Architekten

Wien, Prag oder Berlin – diese Städte haben etwas gemeinsam, um das sie viele andere Kommunen beneiden: die Gründerzeithäuser. Errichtet in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, besitzen diese Wohnhäuser ein für viele Menschen besonderes Flair. Dazu gehören die Ornamente an den Fassaden, die meist eleganten Stiegenhäuser, die manchmal noch vorhandenen reich ausgestatteten Aufzugskabinen ebenso wie die hohen Räume und Türen, die Stuckaturen an den Decken und die nutzungsneutralen, flexiblen Grundrisse in den Wohnungen. All diese Elemente tragen zur Wohnqualität enorm viel bei.

In Österreich existieren mehr als 600.000 Wohnungen in Gebäuden aus der Zeit vor 1919, in Wien sind es noch rund 210.000. Viele sind vom Abbruch bedroht, weil sie in die Jahre gekommen sind und sich eine Renovierung in den Augen ihrer Besitzer nicht mehr rechnet. Mit einer Änderung der Bauordnung im Jahr 2018 hat die Stadt Wien versucht, dem vorzubeugen. Seither muss die Stadt einem Abbruch von Gebäuden, die vor 1945 errichtet wurden, auch dann zustimmen, wenn sie nicht denkmalgeschützt sind oder in einer Schutzzone liegen.

Vom Single bis zur Familie
Gerade Wohnungen in Altbauten sind es wert, saniert zu werden. Denn mit ihren flexiblen Grundrissen entsprechen sie dem Zeitgeist, sich jederzeit den Veränderungen der Wohnbedürfnisse anpassen zu können. Vom Singlehaushalt bis zur Familienein­heit können mit geringem Aufwand Veränderungen durchgeführt werden. Und sie können, vielleicht aufgrund ihrer besonderen Geometrien und der Wohnqualität, zum Rückzugsort für die Erholung in der schnelllebigen Zeit werden.

Alt und Neu
Eine Altbauwohnung zu sanieren heißt jedoch nicht, keine moderne Architektur­sprache umsetzen zu können. Ein Beispiel für eine behutsame Erneuerung und die Verbindung zwischen Altem und Neuem stellt diese Wohnung in Wien-Neubau dar. Es handelt sich dabei um ein Gründerzeithaus in sehr schlechtem Allgemeinzustand mit typischen Gründerzeitgrundrissen. Die in den Siebzigerjahren zuletzt hergerichtete Wohnung war desolat. Als bauliche Maßnahme entfernten die Architekten einige Wände im Bereich des ehemaligen Vorraums mit Küche, Bad und WC, sodass eine zentrale, 42 Quadratmeter große Wohnküche mit neuer Fußbodenheizung entstand, die unmittelbar vom Wohnungseingang betreten wird. Hinter einer neu entstandenen Wand liegen das neue und vergrößerte Bad, die Garderobe und das Gäste-WC. Das Konzept des Möbeldesigns in der Wohnküche folgt der Idee der Schatullen. Erst durch das inszenierte Öffnen offenbart sich das Innenleben aus Eichenholz und gibt seine Funktionen mit Lagen, Elektrogeräten und Spüle frei. Im Bad bildet die Betonoberfläche die Ummantelung für die nutzbaren Oberflächen. Sie umschließt kubisch die Wanne, in deren Überlaufrinne Entspannungslicht integriert wurde. Die Raumbeleuchtung besorgen Pendelleuchten mit Betonfassungen. Um die Bedeutung der Nebenraumzone zu reduzieren, die ist stiegenhausseitige Wand schwarz, während der restliche Raum vorwiegend in Grau gehalten ist. Die raumhohen Möbelfronten bestehen aus faserbewährtem Beton und verleihen dem Raum gemeinsam mit dem Boden aus geschliffenem Fließestrich eine reduzierte, sachliche Kühle. In den Nassräumen wurde an Boden und Wänden eine gewachste zementöse Abdichtung verlegt. Die Böden der übrigen Wohnräume bestehen aus klassischem Parkett aus geölten Eichenhölzern.

Projekt
Wohnungssanierung Wien, Neugestaltung einer Gründerzeitwohnung in 1070 Wien

Bauherr
Privat

Architektur
Veit Aschenbrenner Architekten ZT GmbH, Wien, vaarchitekten.com

Statik
Gmeiner Haferl ZT GmbH, Wien

Projektdaten
Nutzfläche: 135 m2
Planungsbeginn 03/2016
Baubeginn 11/2016
Fertigstellung 03/2017

 

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