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Massive Statements

© Hufton Crow
National Automotive Innovation Centre, Coventry / Cullinan Studio
© Hufton Crow

Beton, Ziegel, Holz oder eine Mischung daraus. Die massive Bauweise ist genauso vielfältig wie die Architektur, die aus diesen Baustoffen entsteht. Zahlreiche Awards würdigen die materialspezifischen Projekte.

von: Roland Kanfer

Mit dem internationalen Brick Award (siehe Bericht ab Seite 90) werden alle zwei Jahre architektonisch interessante und innovative Gebäude in Ziegelbauweise gewürdigt. Heuer hat der Ziegelproduzent Wienerberger zum neunten Mal diesen internationalen Architekturpreis vergeben. In der Kategorie „Feeling at home“ wurde ein Einfamilienhaus in Palma di Mallorca ausgezeichnet. Das „Can Jaime i n'Isabelle“ – also das Heim von Jaime und Isabelle – ist ein traditioneller mediterraner Wohnbau, der sich aus klimatischen Gründen nach außen abschirmt und dafür nach innen öffnet. Vier begrünte Innenhöfe bilden den Mittelpunkt des Lebens an diesem abgeschiedenen Ort. Geplant wurde das 2018 fertiggestellte Haus vom Taller Estudi d’Arquitectura (kurz TEd‘ A arquitectes), der „Studienwerkstatt Architektur“ in Mallorca. Das Haus ist aber kein reiner Ziegelbau, sondern in Mischbauweise errichtet: Sichtbetonmauern
prägen das äußere Erscheinungsbild und Sichtbeton verbindet sich im Hausinneren in Form von Deckenuntersichten, Stützen und Balken mit unverputztem Ziegelmauerwerk. Diese Mischbauweise mag ein Grund sein, dass dieses Projekt nicht den Hauptpreis beim Brick Award erhielt. Der ging – gemeinsam mit einem Preis in der Kate­gorie „Sharing public spaces“ – an einen reinen Ziegelbau: das Institut für Radio und Fernsehen an der Schlesischen Universität im polnischen Kattowitz. Dieses Haus, in dem früher Arbeiter aus dem Kohlenbergwerk gewohnt hatten und in dem auch eine Werkstatt zur Erzeugung von Glühbirnen untergebracht war, sollte eigentlich ab­gebrochen werden. Das spanische Architekturbüro BAAS arquitectura und die beiden polnischen Büros Grupa 5 architekti und Małeccy biuro projektowe bauten um das alte Mehrfamilienhaus herum einen abstrakten Körper mit einem dunkel schattierten, offenen Gitterwerk aus Sichtziegeln.

 

Schlanke Betonstützen
Gleich vier erste Preise gab es beim heurigen Architekturpreis Beton 2020, den das deutsche InformationsZentrum Beton in Kooperation mit dem Bund Deutscher Architekten alle drei Jahre vergibt. Prominentester Preisträger ist sicherlich die 2018 eröffnete James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel. Das von David Chipperfield geplante Gebäude auf dem Gelände eines abgerissenen Schinkel-Baus fungiert als Tor zur Museumsinsel. Die Jury überzeugte die gelungene Transformation von der Gründung im Märkischen Schlick über den monolithischen Sockelbau hin zu den neun Meter hohen, filigran ausgebildeten Pfeilern der Kolonnade. Die als Leit­motiv eingesetzten, 28 mal 28 Zentimeter schlanken Stützen führen die am Neuen Museum endende Kolonnade fort und formen zwischen Neuem Museum und James-Simon-Galerie den kleinen Kolonnadenhof mit davorliegender Terrasse. Außen ist das Bauwerk in hellem Sichtbeton mit farblich auf die Nachbargebäude ab­gestimmten Natursteinbeimengungen gehalten, innen in grauem Sichtbeton.

Wagemut in Sichtbeton
Ein weiterer erster Preis ging an ein Berliner Terrassenhaus, geplant von der Architektengemeinschaft Brandlhuber+Emde, Burlon aus Berlin mit Muck Petzet Architekten aus München. Es handelt sich um ein multifunktionales Gebäude, das auf die Gemeinschaft von Arbeiten und Wohnen setzt. Das mit fast 40 Metern mit maximal möglicher Tiefe errichtete Gebäude interpretiert den in den Sechzigerjahren beliebten Typus des Terrassenhauses neu. Dazu passen auch die roh belassenen Oberflächen aus Sichtbeton. Aus Sicht der Jury ist das Gebäude ein Experiment. Wagemutig ist vor allem die Ausführung: Die unter den Terrassen aufgebrachte mineralische Innendämmung endet gut sichtbar im Raum. Auch auf eine Dachabdichtung wird verzichtet. Regen fließt nach unten und sammelt sich in einer Rinne im Erdgeschoß. Auf der Stuttgarter Kulturmeile steht die 1970 von Horst Eduard Linde entworfene Württembergische Landesbibliothek, ein Kubus aus Sichtbeton in feiner Bretterschalung, dessen obere Geschoße mit Kupfer verkleidet sind. Im Mai 2011 gewann das Stuttgarter Architekturbüro Lederer, Ragnarsdóttir und Oei den Wettbewerb für dessen Erweiterung. Der Erweiterungsbau mit dezent postmodernen Anklängen nimmt die Materialität des Altbaus auf und passt die mit Weißzement und Titan­dioxid aufgehellte Fassade dem Sandstein der benachbarten Hochschule für Musik und Darstellende Kunst von James Stirling an. Im Inneren wird Sichtbeton durchgängig eingesetzt, wodurch die Bibliothek jene Ruhe ausstrahlt, die Besucher von ihr erwarten. Die Sichtbetonfassade ist als gedämmte Ortbetonschale vor die tragenden Betonwände gehängt.

Grundschulen in Modulbauweise
Eine der Anerkennungen des deutschen Architekturpreises Beton 2020 ging heuer an vier in modularer Bauweise errichtete Grundschulen in München. Wulf Architekten aus Stuttgart haben klare, einfache Strukturen mit hellen Foyers und kurzen Wegen geschaffen. Jedes modulare Schulgebäude besteht aus einem Gemeinschaftsbereich, vier Unterrichtsräumen und zwei Räumen für Ganztagsbetreuung sowie einem Raum für Lehren­de und Betreuer. Die Jury würdigte insbesondere den Einsatz von Beton in der Modulbauweise, die sie aufgrund schneller Bauzeiten bei geringen Kosten als sinnvoll bei öffentlichen Bauten erachtet. Die Architekten haben damit ein Statement für das serielle Bauen gesetzt.

Massives Holz
Aus 91 Holzbauprojekten aus der Region Südostbayern, Salzburg und Tirol hat der Verein RosenheimKreis im Mai 2020 je fünf Sieger in den Kategorien Gewerbe- und öffentlicher Bau sowie Wohnungsbau gekürt. Sieger in der Kategorie Öffentlicher Bau wurde die Aufstockung des Museums Werdenfels in Garmisch-Partenkirchen. Auf den denkmalgeschützten Bruchsteinmauern des ehemaligen Stalls sitzt das in Massivholzbauweise ausgeführte Geschoß, das über einen Laubengang entlang der Feuermauer mit einem ergänzenden Neubau für Kunstvermittlung und Verwaltung verbunden ist. Die Holzfassade wurde vom Atelier Lüps in Anlehnung an die alpine Bautradition in Laubenschnittmuster aufgelöst, für die Dachkonstruktion kommt Brettsperrholz als Faltwerk zum Einsatz.

Den dritten Platz in dieser Kategorie belegte ein Massivbau in echter Holz-­Beton-Mischbauweise. Ein Lebensmittelmarkt in St. Martin im Tennengebirge, geplant von LP Architektur und 2016 fertiggestellt, vereint eine in unbehandeltem Holz ausgeführte und mit Spritzbetonelementen kombinierte Fassade mit einem Stahlbetonsockel sowie konstruktiven Stützen und Trägern aus Massivholz. Zwei österreichische Hersteller von Massivholzbauelementen (Rubner und Binderholz) sind mit einem Projekt für den „Wood Award 2020“ nominiert. Das im Februar 2020 eröffnete National Automotive Innovation Centre im englischen Coventry ist das größte Forschungs- und Entwicklungszentrum seiner Art in Europa, an dem die Universität von Warwick und zwei Autohersteller ihre Aktivitäten bündeln. Das Londoner Architekturbüro Cullinan Studio hat für die Dachkonstruktion Diagonalträger aus vorgefertigten, selbsttragenden Brettsperrholzelemente eingesetzt, die bis zu 15 Meter überspannen. Die Holzstruktur und die Knoten des Tragwerks wurden bewusst sichtbar gelassen, um dem Gebäude Wärme und Natürlichkeit zu verleihen.

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