349 Naturstein

Raum und Zeit vergessen machen

© Richard Watzke
Zeitloses Ambiente: Die hochwertigen Natursteine unterstreichen den rituellen Hintergrund einer Mikveh.
© Richard Watzke

Ein rituelles Tauchbad in Wien wird maßgeblich von der zeitlosen Erscheinung von Naturstein geprägt. Wie sehr sich die Gestaltung und Umsetzung von herkömmlichen Wellnessanlagen unterscheidet, erläutert der Wiener Architekt Adam Kanner.

von: Richard Watzke

Immer wenn Wasser ins Spiel kommt, ist äußerste Sorgfalt erforderlich. Besonders anspruchsvoll wird es beim Bauen im Bestand, wenn auf engstem Raum und bei laufendem Betrieb gearbeitet wird. Bei der Neugestaltung eines jüdischen Tauchbades meisterten die Architekten und Ausführenden etliche Herausforderungen, angefangen bei der Baustellenlogistik tief unter der Erde in einem alten Kellergeschoß.

Für die mit den Natursteinarbeiten betrau­ten Techniker und Steinmetze von Schreiber & Partner galt es, die großformatigen Natursteinplatten trotz stark begrenzter Lager- und Montagemöglichkeiten schadlos und präzise nach Vorgaben der Planer zu versetzen. Steintechnisch anspruchsvoll sind vor allem die in dem sehr harten Quarzit umgesetzten Detaillösungen für die Wasserzuläufe und -abläufe sowie die millimetergenau einzuhaltenden Maßangaben für Revisionsöffnungen und Wasserhöhen in den Becken.

 

Herr Architekt Kanner, was ist eine Mikveh?
Eine Mikveh ist ein rituelles Tauchbad, dessen Besuch allen Juden und Jüdinnen zu bestimmten Anlässen vorgeschrieben ist. Heute befolgen im Großen und Ganzen nur mehr streng gläubige Juden diese Gebote. Die Verpflichtung zum Besuch einer Mikveh entspricht primär der allgemeinen Hygiene einer Gemeinde. In Zeiten, in denen Badezimmer selbstverständlich sind, ist dies gewährleistet – im Mittelalter beispielsweise war diese Einrichtung den allgemeinen Standards weit voraus. Um einen möglichst großen hygienischen Effekt zu erzielen, gibt es auch genaue Bestimmungen über die Beschaffenheit des verwendeten Wassers. Zur Anwendung kommen nur Regenwasser oder Brunnenwasser. Die Mechanismen bezüglich Wasserquelle, Anfüllen des Beckens und Wassertausch sind sehr komplex und exakt zu planen. Im Allgemeinen wird dies von dazu ausgebildeten Rabbinern durchgeführt, die weltweit agieren. Das Projekt in Wien wurde von London
aus betreut.

Welche Vorgaben bestanden bei der Gestaltung und Ausführung?
Seitens der Bauherrschaft waren eine möglichst funktionelle Anordnung der Räume, eine leichte Instandhaltung und Pflege sowie ein ansprechendes Gesamterscheinungsbild gewünscht. Der Gesamteindruck sollte nobel, aber nicht protzig sein. Als Architekten wollen wir besondere Stimm­ungen schaffen, die den Benutzern Geborgenheit und das Gefühl der Zuwendung geben.

Welche Herausforderungen gab es?
Zuallererst die Platzsituation. Es musste versucht werden, bei einem sehr beschränkten Platzangebot ein möglichst großes und ökonomisch funktionelles Raumprogramm umzusetzen. Weiters galt es, das Handling der Baustelle im technischen Sinn zu lösen. Dabei wurden massive Unterfangungen eingebracht, ohne schweres oder mittelschweres Gerät zur Verfügung zu haben. Darüber hinaus war zu gewährleisten, dass der Betrieb in den bereits fertiggestellten Teilen möglichst ungestört weiterlaufen konnte. Die Führung des Einspeisewassers war ein Problem für sich, zusätzlich gab es Vorschriften über die Wasserhöhe, die Entleerung des Beckens und Ähnliches.

Wie unterscheidet sich dieses Projekt von anderen Aufträgen im Bereich Bad und Wellness?
Im Gegensatz zu herkömmlichen Bad- oder Wellnesslösungen gab es keine Möglichkeit, an grundlegenden Planungsparametern zu rütteln. Die religiösen Vorgaben konnten nicht diskutiert oder mit logisch­-weltlichen Argumenten verändert werden. Das gilt beispielsweise für die Befül­lung der Becken.

Warum wurde Naturstein verwendet?
Einerseits aus ästhetischen Gründen, weil Naturstein als Boden oder Wandbelag unerreichbar in seiner Qualität ist, andererseits weil Naturstein in einem Objekt, welches Raum und Zeit vergessen machen will, dem Ewigkeitsanspruch am besten entspricht.

Projekt
Mikveh, Wien

Auftraggeber
Österreichische Agudas Israel

Architektur
DI Adam Kanner Architekten, Wien

Naturstein
Quarzit Azul Imperial, poliert

Natursteinarbeiten
Schreiber & Partner Natursteine GmbH, 2170 Poysdorf, sp-natursteine.at

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