346 Thema

Schöner, grüner, lebendiger

© K. Kopter
Kampung Admiralty, Singapur: südwestliche Ecke; die Seiten sind entsprechend ihrer Richtung farbcodiert.
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Städte neu denken ist eine immer wiederkehrende Aufforderung an Raumplanung und Architektur. Angesichts der spürbaren Veränderungen von Wetterereignissen mit oft katastrophalen Auswirkungen sind konkrete Maßnahmen gefordert.

von: Susanne Karr

Die Uhr tickt. Jährliche Hitzerekorde betreffen vor allem Städte. Klimaverbesserung und Hitzereduktion sind gefragt und die Suche nach Alternativen zum gesteiger­ten Einsatz von Klimatisierung hat längst zahlreiche Ergebnisse geliefert. Ein wichtiger Gesichtspunkt lässt sich mit der Forderung nach „mehr Grün“ zusammenfassen. Es scheint allerdings oft, als sei die Erkenntnis noch nicht zu den primären Entscheidungsträgern durchgedrungen: dass es höchste Zeit ist, zu reagieren. In groß angelegten Studien – etwa von UN, McKinsey und Euro­päischer Kommission – wird nach Aufzählung der Probleme schnell auf eine abstrakte Ebene ausge­wichen und die Thematik somit in die Ferne gerückt. Studien werden verlangt, als gäbe es nicht bereits Unmen­gen davon, und Zeiträume jenseits von zehn Jahren werden anvisiert. In den einzelnen Themen­bereichen findet sich „Climate Action“ erst an vorletzter Stelle – vor „Challenges – Work Ahead“.

Die Ansatzpunkte für Aktionen sind längst bekannt. Städte mit ihrem hohen Energieverbrauch und ihren Schadstoffemissionen werden in der Liste von Ursachen der Klimakrise an einer der obersten Positionen genannt. Der erwartete Zuzug von Menschen wird diese Probleme noch vergrößern, wenn die gängigen Stadtmodelle fortgeführt werden. Vorschläge zur Dekarbo­nisierung lauten etwa Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Smart-Programme zu Energieeffizienz usw. Alles schon oft gehört, manches vorangetrieben, manches schleppt sich. Einige Länder formulieren weitaus ambitioniertere Ziele als andere und möchten diese auch schneller umsetzen. Nicht überraschend, stammen doch solche Initiativen etwa aus Dänemark. Dort hat sich der Handlungsbedarf konkretisiert. Die Stadt Sønder­borg mit ca. 75.000 Einwohnern sieht sich als wachsende Stadt, die bis 2029 CO2-neutral sein möchte. Sie strebt die nachhaltige Nutzung der weltweiten Nahrungsmittel-, Energie- und Wasserressourcen an und will Innovationsmotor für neue Geschäftskonzepte und Technologien sein. Bereits seit 2007 läuft eine erfolgreiche Agenda zur Senkung des Energieverbrauchs in Kooperation mit Hausbesitzern. Akteure in konkrete Pläne einzubeziehen ist die einzige Möglichkeit, tatsäch­lich etwas voranzubringen und nicht auf der Ebene von wissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Papier zu bleiben.

Klimanotstand
Mit einer solchen Hands-on-Einstellung haben auch einige europäische Städte den Klimanotstand ausge­rufen. Der Begriff „Climate Emergency“ wurde erst­malig 2009 bei einer Demonstration in Melbourne verwendet. Schon davor, in den 2000er-Jahren, war die Formulierung „Klimanotstand“ im Sprachgebrauch gewesen, bis sich die von der Bush-Administration verwendete Redeweise vom „Klimawandel“ durchsetzte, um den menschengemachten Anteil herunterzuspielen. „Klimawandel“ trägt das fast positiv klingende, magisch anmutende Element der Verwandlung in sich. Eine deklarierte Krise hingegen löst Handlungsbedarf aus.

In Europa deklarierten im Jahr 2019 Irland, Groß­britannien und Katalonien den Klimanotstand. Einige Städte in der Schweiz und in Deutschland haben sich angeschlossen. In Österreich verkündete Michaelerberg-Pruggern in der Steiermark als erste Gemeinde den Klimanotstand, Traiskirchen in Niederösterreich war die erste Stadt. Es folgten zahlreiche Gemeinden und Städte, u. a. Perchtoldsdorf, Steyregg und Kufstein. Vorarlberg hat als erstes gesamtes Bundesland den Notstand erklärt. Auf Gemeindeebene können Maßnahmen getroffen werden, etwa den Baustoff Holz gegenüber Beton zu bevorzugen und ­CO2-­Emmissionen genauer zu kontrollieren und einzudämmen. Auf lange Sicht sind Maßnahmen im größeren Radius notwendig, um großen Impact zu erzielen – genau dies ist auch ein Anliegen der Initiative. Das bedeutet, das Thema endlich ernst zu nehmen. Politiker sollen nicht mehr länger mit ihren Ängsten vor Wählerverlust durchkommen, die sie davor abschrecken, Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Etwa Benzinpreiserhöhungen, Förderung des Nahverkehrs, Umstellung der Ernährung. Dieses Thema scheint besonders unbeliebt, obwohl die Praktiken der Agrar­industrie mit ihrem Landverbrauch und ihren Emissionen massive Auswirkungen auf die Erderwärmung haben.

Architektur ist gefordert
Architektur kann und muss ebenfalls Einfluss nehmen, nicht nur durch die Wahl von umweltfreundlichem Baumaterial. Begrünung verbessert das Mikroklima in Städten spürbar. Es gibt zahlreiche adaptive Modelle, die den Gegenargumentationen den Wind aus den Segeln nehmen. Zwar lassen sich in Europa keine dschungel­artigen Hochhausparks wie in Singapur anlegen, aber Vertical Forests nach dem Vorbild von Stefano Boeri haben schon wiederholt bestätigt, dass sie machbar sind. Momentan wird vom Studio Stefano Boeri Architetti in Kooperation mit der Landschaftsarchitektin ­Laura Gatti in Tirana der erste vertikale Wald entwickelt, ein 21-stöckiges Apartmenthaus mit vier zusätz­lichen Untergeschoßen. Hier werden 3200 Sträucher und 145 Bäume gepflanzt und so über 550 Quadratmeter grüne Fläche geschaffen. Außerdem wird ein Masterplan für Tirana 2030 erarbeitet. Er be­inhaltet größtenteils Landschaftserneuerung mit fortschreitender Aufforstung der Stadt. Vertikaler Wald erhöht die Biodiversität und kreiert durch die Vegetation ein urbanes Ökosystem, das für Vögel und Insekten bewohnbar ist. So kann ein Netzwerk von Umweltkorridoren entstehen, die mit bereits vorhandenen Grün­flächen in der Stadt korrespondieren und diese beleben.

Intakte Dorfgemeinschaft
Ein weiteres Vorbildprojekt stammt von den Spezialisten für urbanen Dschungel, dem Architekturbüro WOHA aus Singapur. Ihr preisgekröntes Städtebau­projekt Kampung Admiralty vereint eine Mischung aus öffentli­chen Einrichtungen und Dienstleistungen unter einem Dach. Auf einem 0,9 Hektar großen Gelände mit Höhenbegrenzung von 45 Metern wird Landnutzung maximiert, anders als in der traditionellen Handhabung, in der jede Verwaltungsbehörde ein eigenes Grundstück gestaltet und viele einzelne Gebäude errichtet. Projekte von WOHA sind ökologisch und sozial wegweisend. In ihrem Ansatz Makroarchitektur-Mikro­urbanismus konzentrieren sie sich darauf, Gebäude als integrierte Ministädte zu gestalten und nachhaltige und sozial verträgliche Umgebungen zu schaffen. Ihr Planungs­ansatz beim vertikalen Dorf baut auf einem Sandwichansatz auf. Mehrere Schichten mit unterschiedlichen Widmungen wie Einbindung ins Stadtleben durch öffentlichen Raum auf der unteren, medizinische Versorgung in der mittleren und Wohneinheiten in der oberen Ebene lassen sich zur übergreifenden Nutzung zusammenführen. Kindergarten und Community Park mit Alterswohnungen, medizinisches Zentrum und Einkaufsmöglichkeiten ergänzen die sozialen Funktionen. Die Konstruktionsprinzipien sind auf natürliche Querlüftung und optimales Tageslicht ausgelegt. „Kampung“ bedeutet Dorf und die Idee orientiert sich auch an einer intakten Dorf­gemeinschaft. Kommunikationsorte sind als wichtige öffentliche Räume ein­geplant. Die öffentlich nutzbare Plaza auf dem Erd­geschoßlevel geht von der Idee eines riesigen Gemeinschaftswohnzimmers aus. Organisierte Veranstaltungen, Feierlichkeiten der Saison, Tanzkurse, Märkte – der Raum ist vielfältig nutzbar, schattig und vor Regen und Sonne geschützt.

Revitalisierung der städtischen Umwelt
Spektakulär wird das Ganze vor allem durch das große begrünte Dach mit wuchernden Pflanzen und Gemüse- und Obstanbau. Der Community Park ist eine urbane Interpretation des Dorfangers, in dem man sich treffen, Sport treiben oder die gemeinschaftlichen Gärten pflegen kann. Solche Modelle sind dazu angetan, städtische Umwelt zu revitalisieren und als natürliche und soziale Ökosysteme zu begreifen. In Verbindung mit Stadtbegrünung verbessern und beeinflussen sie das urbane Klima auf vielfache Weise.

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