Glas und Metall 2020 metalljournal.at Metall-Bau

Vom Fenster zur Fassade

© Otto Chemie
Das Schulungs- und Logistikzentrum der Otto Chemie in Fridolfing mit HGV-Fassade
© Otto Chemie

Fenster in großen Formaten, die zusätzlich eine teilweise Aussteifung von Gebäuden beinhalten und schnell zu montieren sind, eröffnen neue Möglichkeiten im Holzbau.

von: Jörg Pfäffinger

Diese meist raumhohen Glaselemente sind mit einer umlaufenden Koppelleiste aus Birkenfurniersperrholz verklebt und werden mit ihr einfach auf eine vorhandene Pfosten-Riegel-­Konstruktion aufgeschraubt. Am Markt sind diese Elemente als Holz-Glas-Verklebungen (HGV) bekannt. Sie übernehmen einerseits statische Funktionen und ermöglichen andererseits einen schnellen Baufortschritt. Das ermöglicht Fassaden­konstruktionen, die bisher oft nur vom Stahlbau geleistet wurden. Ein zertifizierter Glasverarbeiter liefert die Elemente passgenau, die später auch einzeln austauschbar sind. In Deutschland ist Uniglas dafür der Partner, dessen System „Facade“ die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (AbZ) für nicht tragende Fassaden vom DiBt – Deutsches Institut für Bautechnik erhalten hat. In Österreich ist Petschenig Glastec der Anbieter. Mit dem System „Fasco“ bietet Knapp ein HGV-System mit GFK-Leisten statt Holz an, das jedoch bis jetzt keine AbZ vorweisen kann.

Holz-Glas-Verklebungen in der Praxis
Bereits beim Österreichischen Holzbaupreis 2009 wurde das Einfamilienhaus „Schattenbox“, das in der Nähe von Wien errichtet worden war, ausgezeichnet. Besonderheit des zweigeschoßigen Holzbaues war seine Südfassade, die aus HGV-Elementen bestand. Inzwischen sind auch schon Gewerbebauten mit diesem System entstanden: Das Schulungs- und Logistikzentrum der Otto Chemie in Friedolfing (Deutschland) wurde mit einer 45 Meter langen und 10 Meter hohen HGV-Fassade von Uniglas ausgerüstet. Dort sind abwechselnd weiße Fassadentafeln und Sonnenschutzglas montiert, jeweils 1,25 Meter breit und 2,50 Meter hoch. Neben den Festverglasungen gibt es dort auch öffenbare Fensterflügel. Dank des HGV-Systems war die Montage der Fassade in nur einer Woche abgeschlossen. In Haslach wurde schon 2012 eine Gewerbehalle mit HGV-Elementen realisiert, die im Erdgeschoßbereich bis zu 4,10 Meter hoch waren. In Österreich sind aktuell einige Projekte mit dieser Technologie von Petschenig entstanden.

Die Entwicklung begann bereits 1997
Die ersten Forschungen begannen 1997 an der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau in Biel, damals ging es um die Optimierung von Holzfenstern durch die Technologie des Verklebens. Mit der Kooperation der Holzforschung Austria in Wien und dem deutschen Klebstoffhersteller Otto Chemie wurde in den folgenden Jahren das Thema Ver­kleben um die Frage erweitert, wie weit die Statik von Holzfenstern vergrößert werden kann. Die Institute forschten in Zusammenarbeit mit der TU Wien und Industriepartnern, in welchem Umfang sich Holz-Glas-Verklebungen im Bau von Fassaden einsetzen ließen.

TU Wien forscht und verbessert Aussteifung
Im Institut für Architekturwissenschaften, Tragwerksplanung und Ingenieurholzbau der TU Wien wird zum Thema HGV geforscht. Es geht um das Langzeitverhalten der Verklebung und ein nach Eurocode abgesichertes Sicherheitskonzept. Ursprünglich wurde ein System entwickelt, bei dem die Glasscheiben aufgeklebt werden und die einwirkenden Kräfte über eine reine Schubverklebung abgetragen wurden. Das zeigte aber die Einschränkung, dass bei bereits relativ geringen Lasten hohe Verformungen auftreten und das Leistungsniveau der Verklebung gar nicht ausgenützt werden kann. Unser einschränkender Faktor war also die Verformung des bisherigen HGV-Elements. Eine effiziente Klebung zusätzlich zur bisherigen Verklebung, eine Art flüssige Klotzung, lässt das Glas am Rahmen bzw. der Koppelleiste anstehen. Daraus ergibt sich eine Verbesserung der Aussteifung um den Faktor fünf, mit dem deutlich mehr Lasten als durch die bisherige reine Schubverklebung übertragen werden können.

Wie das in der Praxis funktioniert, wurde 2016 an einem Bruchtest an der TU Wien gezeigt. Ein acht Meter langer Doppel-T-Träger aus Buche mit einem Mittelsteg aus Glas wurde mit 30 Tonnen belastet. Er war leistungsfähiger und damit wirtschaftlicher, weil schlanker. Lediglich die effiziente Flüssigklotzung war nötig. Forschungen zur Flüssigklotzung laufen auch an der Berner Fachhochschule in Biel, was auf diverse Neuentwicklungen für Fenster und Fassaden hoffen lässt.

Der Artikel als PDF