313 Thema

Wien – für immer in Öl auf Leinwand

Sind wir im 21. Jahrhundert angekommen oder steckt Wien in einem Barockbild fest?

Editorial 2/2014

Barack Obama hat im letzten Wahlkampf auf den Vorwurf seines Kontrahenten, die US-Marine besäße heute weniger Schiffe als im ersten Weltkrieg, ironisch geantwortet, die USA hätten heute auch weniger Pferde und Bajonette als damals. Die Botschaft hinter diesem Bonmot lautet: Die Welt hat sich seither geändert,derartige Vergleiche sind unzulässig.

Hat sich die Welt in den letzten 100 Jahren doch beträchtlich verändert, so sind die Lebensumstände im 18. Jahrhundert mit denen der Gegenwart überhaupt nicht mehr zu vergleichen – betreffend Bevölkerungszahl, Produktions- und Wirtschaftsformen, Mobilität und Infrastruktur, um nur einige Aspekte herauszugreifen. Selbst im traditionsbewussten Wien muss also die Frage erlaubt sein: Sind wir im 21. Jahrhundert angekommen? Oder steckt die österreichische Hauptstadt in einem Bild fest, das ein italienischer Barockmaler mit dem Künstlernamen Canaletto vor 250 Jahren von ihr wiedergegeben hat? Damals existierte Wien nur innerhalb der Stadtmauern, die heute die Ringstraße nachzeichnet. Alles jenseits war Umland. So auch das Schloss Belvedere, von dessen Standort aus Canaletto auf die Stadt mit dem Stephansturm im Zentrum blickte und diesen Blick mit Ölfarben auf Leinwand verewigte. Ein historisch interessantes Dokument und ein wunderschönes Gemälde, es hängt verdientermaßen im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Für das heutige Wien und dessen Stadtentwicklung wird das Gemälde jedoch zunehmend zum Fluch. Die Stadt klammert sich aus tourismuswirtschaftlichen – und wahltaktischen – Überlegungen an ihrem von der UNESCO verliehenen Titel der Innenstadt als „Weltkulturerbe“fest. Damit überlässt sie ihre Planungshoheit freudig den von ihr nicht legitimierten, von privaten Institutionen ernannten Experten, die städtebauliche Projekte nach Gutdünken, ohne Rechtfertigungsnotwendigkeit, gutheißen oder abwürgen – immer mit der drohenden Aberkennung des Kulturerbestatus als Disziplinierungsinstrument. In deren Windschatten segeln sodann noch diverse Bürgerinitiativen, ins Leben gerufen von meist älteren, soignierten Damen und Herren, die sich bei jedem mittleren oder größeren Neubauprojekt reflexartig um die „gute, alte Zeit“ sorgen.

Aktuell funktionieren diese Reflexe bei zwei Projekten in Wien wieder einwandfrei: „Rettet den Steffl-Blick“ (von der Josefstadt in Richtung Innenstadt) heißt eine Petition gegen den so genannten „Glaspalast“in der Rathausstraße, „Kein Hochhaus im UNESCO-Welterbe“eine andere gegen die Neugestaltung des Areals zwischen Lothringer Straße, Eislaufverein, Hotel Intercontinental und Heumarkt. Bei letzterem Projekt muss wieder einmal der arme Hofmaler MariaTheresias herhalten. Vielleicht sollte man ihm nach 250 Jahren doch den ihm gebührenden Ort der Ruhe im Museum gönnen und die Stadt endlich im 21. Jahrhundert ankommen lassen.