368 Architektur Thema
© Čertov / Winkler Ruck Architekten
Ferdinand Čertov, Klaudia Ruck und Roland Winkler
© Čertov / Winkler Ruck Architekten

Zwischen den Zeiten bauen

Bei zwei soeben fertiggestellten Museumsumbauten, dem Rudolfinum in Klagenfurt und dem Wien Museum, changieren die Architekten Winkler + Ruck / Čertov zwischen radikaler Kernintervention und Denkmalpflege.

von: Barbara Jahn

Barbara Jahn: Mit den beiden Museen haben Sie zwei bestehende Gebäude angepackt. Was waren dabei die Herausforderungen?
Das Kärnten Museum wurde 1884 errichtet und das Wien Museum 1959. Beide haben nicht mehr den Anforderungen eines modernen Museumsbetriebs entsprochen. Die Grundaufgabe des Museums, nämlich das Sammeln, Forschen und Präsentieren, war zwar in der Vergangenheit die gleiche, jedoch hat sich die Organisation und Methodik stark geändert. Ebenso die Anforderungen bezüglich Barrierefreiheit, Erdbeben­-
sicherheit, Brandschutz und insbesondere der Anspruch betreffend Nachhaltigkeit. Noch dazu stehen beide Museen unter Denkmalschutz.

Das Kärnten Museum ist über die Jahrzehnte mit Einbauten verstellt worden und es bedurfte einer Neuordnung des Gebäudes. Ein Changieren zwischen radikaler Kern­intervention und dem Schütteln des Gebäudes, bis alles nachträglich Eingebaute abfällt bis zum Haus der Bildung, Konversation und Konfrontation. Die Besonderheit und Herausforderung beim Wien Museum waren einerseits der prominente Ort neben der Karlskirche, andererseits die Anforderung, die Nutzfläche zu verdoppeln. Für uns war von Anfang an klar, dass wir dem Bestandsbau die Masse und die Höhe geben müssen, die auch die umliegenden Kulturinstitutionen haben – also das Künstlerhaus, der Musikverein, die Technische Universität, aber auch der Portikus der Karlskirche. Herausfordernd an diesem Projekt war insbesondere auch die Tragwerksplanung, die den großen, architektonisch und statisch komplexen Neubau nicht direkt an den Altbau anschließen lässt, sondern in das ehemalige Museums­atrium einschiebt und ihn schweben lässt.

Wie ist es Ihnen gelungen, erfolgreich die Brücke zu schlagen, um die Verbindung zur Vergangenheit nicht zu verlieren und den Zug in die Zukunft nicht zu verpassen?
Mit einer respektvollen Diskussion mit dem Bestand. Der Bestand ist zum Gesprächspartner geworden – wir fragen und beobachten jeden Plan, jede Fuge, jedes Mate­rial, jedes Geländer und jede Leuchte. In diesem Dialog konnten wir Themen, die im Gebäude bereits bestanden, aufnehmen und weiterführen. Das Wien Museum, der erste österreichische Museumsbau der Nachkriegszeit, spricht die Sprache von Beton. Die Kraft des rohen Materials ist gehüllt in eine Haut aus Stein. Wir durchbrechen die Oberfläche und sprechen mit dem Beton – das verbindet uns. Das Kärnten Museum – erbaut gegen Ende des 19. Jahrhunderts – sinniert kultiviert einen Ziegel über den anderen setzend – gepflegt und erprobt. Wir nehmen die ursprünglichen Räume und definieren sie zu begehbaren Vitrinen und das ganze Erdgeschoß zum „public forum“.

Was, denken Sie, muss ein moderner Museumsbau heute können, um Menschen neugierig zu machen?
Neben einer optimierten Präsentation der Objekte muss er vor allem Fragen stellen. Dabei werden Räume, in denen Vermittlung für alle Altersgruppen und alle sozialen Bevölkerungsschichten stattfinden kann, immer bedeutender. Wir denken schon, dass das Museum zuerst einmal ein tolles Gebäude sein muss. Das ist wie ein Portal in eine andere Welt. Die Art des Portals verheißt den Besuchern, in welche Welt sie nun eintreten werden – verzaubert sie bereits beim Eintreten. Was dann passieren soll, ist die Kunst, jemanden zum Fragen zu bringen, die Neugier zu wecken. Neugier entsteht zum Beispiel, wenn man etwas finden will. Man beginnt mit der Suche und schon tritt man in die Disziplin der Architektur ein: Suchen ist räumlich. Deswegen ist ein Museum wohl eine der Lieblingsaufgaben von Architekten – man hat ständig mit Archetypen zu arbeiten: dem Labyrinth, dem Weg an sich, dem Verbergen und dem Finden, was beides nur mit Raum funktioniert.

Was bieten die neuen Museen für eine junge Generation, die sehr fixiert auf Mobiltelefone ist und wenig mit Analogie am Hut hat?
Ausstellungen werden heute digital begleitet. Sie interagieren, bilden virtuelle Welten ab, stellen Kontakte und Verbindungen her, bewegen sich, antworten auf Fragen, können aber das Dingliche nicht ersetzen. Es bleibt ungreifbar – im wahrsten Sinne des Wortes – und immer risikolos distanziert. Weil man es nicht greifen kann, kann man es auch nicht zerstören. Und wenn es vom Bildschirm verschwindet, ist es wirklich ziemlich weg. Aber es erlaubt, in die Tiefe zu gehen oder eigentlich in die Breite: Man kann tatsächlich alles digital abrufbar haben – allerdings auch ohne Museum. Das ist der Punkt, wo Museen dann etwas Anderes – Greifbares – anbieten müssen.

Sind Kulturbauten eher die Stiefkinder in der politischen Architekturlandschaft?
Das können wir nicht bestätigen. Die beiden Museen, die wir gerade fertigstellen, wurden von der öffentlichen Hand tatkräftig unterstützt.

Wie viele Ihrer Wettbewerbsprojekte konnte tatsächlich umgesetzt werden?
Beinahe alle der Gewonnenen.

In Deutschland befinden sich einige Wettbewerbsprojekte im Würgegriff der Politik. Ist das in Österreich auch so? Was ist Ihre Einschätzung?
Das kann durchaus passieren, wenn die Architektur, die Gott sei Dank immer noch die Herzen der Masse berührt, als Werkzeug missbraucht wird, um politische Gegner damit zu bekämpfen. Dann zählt plötzlich nicht mehr die Qualität der Architektur, sondern nur noch ihr politisch wirksames Gewicht, wenn man es auf den Kopf des politischen Gegners haut.

Was wünschen Sie sich hinsichtlich Kultur und architektonischem Raum?
Sich mehr Kultur in Österreich zu wünschen ist weltweit gesehen ein sportliches Ansinnen. Aber: Genug kann nie genug sein, wenn es um Kultur geht, denn sie ist unser positives Vermächtnis. Das Negative ist ein zerstörter Planet und ein Zeitalter, das nach uns benannt wird, weil wir in der Lage waren, unauslöschliche Spuren in die Erdkruste zu verewigen: das Anthropozän.

Was den architektonischen Raum betrifft, wünschen wir uns, dass er von einer Pflegschaft verwaltet wird, der er am Herzen liegt, und nicht von einer, die von ihm profitieren will. Der architektonische Raum verschlechtert sich, weil er investiert wird anstatt geplant. Das Hauptinteresse ist im Laufe des letzten Jahrhunderts vom Ansinnen, eine Stadt zu gestalten, sobald man ein Haus baut, in eines gekippt, das lediglich die verfügbaren Flächen gewinnbringend ausschlachten will. Wir haben zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Entweder wir finden die katastrophale Architekturqualität, die dabei als Nebenprodukt passiert, einfach schön – ist ja immerhin selbst gemacht – oder wir erobern unser baukulturelles Jagdgebiet von der Investmentbranche zurück. Halali!

Vielen Dank!

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