347 Thema Wettbewerbe

Zwischen Friedrichstadt und Secession

Rendering © OMA
Die neue Fassade von „The Link“ ersetzt das bestehende Kaufhaus auf der Straße und setzt xeinen Teil der historischen Struktur fort.
Rendering © OMA

Wien bekommt endlich sein Luxuskaufhaus: das KaDeWe Wien. Der Entwurf von Rem Koolhaas‘ OMA Studio konnte den geladenen Wettbewerb mit vier Teilnehmern für ein weiteres Renommierprojekt der Signa Gruppe für sich entscheiden.

von: Susanne Karr

Damit ist das erste Werk der internationalen Stararchitekten in Wien beschlossene Sache. Unter dem Vorsitz von Elke Delu­gan-­­Meissl entschied sich die Fachjury aus Experten der Bereiche Architektur, Handel und Projektentwicklung sowie Vertretern der Stadt Wien und des 7. Bezirks einstimmig für den Entwurf des Rotterdamer Architektenbüros und gegen die Vorschläge von BIG (Bjarke Ingels Group), Snøhetta und Hadi Teherani.

Wieso kein eigenes Konzept?

Der Plan: die Errichtung eines Nobelkaufhauses mit Dachgarten und integriertem Hotel. Dafür wird das traditionelle Leiner-Möbelhaus bis auf die Fassade entkernt, der bisherige Geschäftsbetrieb selbstverständlich umgesiedelt. Fünf Stockwerke mit einer derzeitigen Gesamtnutzfläche von 58.000 m² sollen ab 2021 neugestaltet werden, und zwar nach dem Vorbild des Luxuskaufhauses KaDeWe in Berlin, das bereits zur Signa Gruppe gehört. In Wien wird es also auch bald ein KaDeWe geben – ein auf den ersten Blick wunderliches Ansinnen, ist doch das Original ein typisches Berliner Wahrzeichen. Das 1907 eröffnete „Kaufhaus des Westens“ – daher das Kürzel –  galt als Inbegriff luxuriöser internationaler Waren und war lange das größte kontinen­tal­europäische Kaufhaus. Es wird auch heute als Sehenswürdigkeit neben dem Brandenburger Tor, dem Mauerpark, der Kaiser Wilhelms-Gedächtniskirche und Checkpoint Charlie gelistet. 

Als Argument für die Errichtung eines solchen Kaufhauses in Wien wird häufig der Mangel an Luxuswarenhäusern beklagt – da möchte man hinter Berlin, Hamburg und München nicht zurückstehen. Also schafft man einen Ableger in Wien – wieso kein eigenes Konzept erstellt wird, das mehr mit dem Wiener Standort zu tun hat, leuchtet nicht unmittelbar ein. Es sieht so aus, als würde das KaDeWe Wien einfach als ein weiteres Element in einer Kette von Luxuskaufhäusern etabliert. OMA sind derzeit auch mit Umbau und Renovierung des Berliner Stammhauses am Kurfürstendamm betreut. Für die Planung in Berlin ist OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli verantwortlich. Er wird, gemeinsam mit Ellen van Loon, auch das Wiener Projekt planen. Zu den bereits bestehenden Objekten der KaDeWe-Group gehören das Hamburger Alsterhaus und der Münchner Oberpollinger. Unverkennbarkeit gehört offenbar nicht zu den hohen Ansprüchen, was auch die jeweiligen Web-Auftritte der Kaufhäuser nahelegen. Sie ähneln einander ­optisch und thematisch auffallend stark.

Luxus unter Modeketten?

Auch der gewählte Standort mag erstaunen: in der unteren Hälfte der Mariahilfer Straße, die zwar eine relative Nähe zur Innenstadt für sich geltend machen kann, aber nicht zu vergleichen ist mit der satten Aura von Graben und Kärntner Straße, geschweige denn dem Glamour des Hamburger Jungfernstieg. Einen solchen Glanz soll aber das neue Projekt laut Delugan-Meissl mit sich bringen. Aus historischer Perspektive könnte man die Mariahilfer Straße um 1900 als Boulevard mit eleganten Warenhäusern für Flaneure bezeichnen. Aktuell trifft die Beschreibung nicht zu. Mit der hybriden Nutzung soll sie nun in Zukunft als Einkaufsstraße neu definiert und das Thema Retail neu gedacht werden. Start-ups und Designer sollen als willkommene ­Nutzer der neuen Flächen begrüßt werden. Einen Kontrast zum bloßen Shoppingcenter-­Format wollen die Planer mit Durchgängen und Verbindungen schaffen, etwa zwischen Hotel, Kaufhaus und Museumsquartier. Der Entwurf heißt entsprechend „The Link“. Ausgehend von einer Mittelachse, die sich durch die gesamte Anlage zeiht, verzweigen zwei Querachsen den Raum weiter. Der Rückteil des Gebäudes wird zum Hotel mit 150 bis 165 Zimmern. Die Frontteile hinter der teilweise erhaltenen historischen Fassade werden zum Shoppingtempel.

Zurückhaltend und traditionell 

Wie wird es aussehen? OMA spricht von den Inspirationen durch die anspruchsvollen, aber sanften Geometrien der Architektur der Wiener Secession. Die Fassade wird aus zylindrischen Glasmodulen bestehen. Geplant sind konvexe Erkerfenster für das Hotel und konkave Paneele für das Kaufhaus. Man stellt sich vor, dass das Gebäude durch seinen Nutzungsmix eine gewisse Offenheit ausstrahlt, die sich in den öffentlich zugänglichen Bereichen verwirklicht. Mit den Glaselementen und Arkaden wirkt der Plan optisch zurückhaltend und beinahe traditionell, vor allem im Vergleich mit dem Entwurf von Snøhetta. Manche Ansichten des Gewinnerprojekts erinnern mit den Schaufenstern in Bogenform an die Berliner Friedrichstraßenpassage, die ebenfalls 1907 eröffnet wurde, damals die zweitgrößte Einkaufspassage der Stadt war und in einem späteren Leben als Kunsthaus Tacheles eine ganz andere Art der Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Dieses geschichtsträchtige Gebäude im ehemaligen wilden Osten Berlins wird übrigens seinerseits von Herzog De Meuron Architekten als Kaufhaus wiederbelebt. 

Mit der Arbeit im Herzen Wiens will OMA die historischen Qualitäten der Umgebung unterstreichen. Mit dem Gebäude soll keine Ikone entstehen, sondern ein architektonisches Medium, das neue städtische Verbindungen und öffentliche Räume bietet. Seitens der grünen Bezirksvorstehung, die dem Neuzugang optimistisch entgegensieht, wird auf ökologische Aspekte wie den Grünraum auf dem öffentlichen Dachpark verwiesen. Eine Mobilitätsstation mit Carsharing, Lastenrädern und E-Ladestationen ist geplant. Bei der Präsentation erwähnten OMA die Möglichkeit, durch die Bepflanzung eine nennenswerte Kühlung der Umgebung von bis zu sieben Grad erreichen zu können. Dies wird allerdings seitens Landschaftsplanungsexperten stark bezweifelt und als unrealistisch eingeschätzt. Höchstens die direkt angrenzenden Räume würden von einer solchen Kühl­wirkung profitieren.

Stadtbegrünung 

Aber Stadtbegrünung hat zweifellos positive Aspekte, nicht nur bezüglich Kühlung, sondern definitiv im Hinblick auf Sauerstoff und Lärmdämmung. Und die Farbe Grün erfreut, laut Psychologie, generell das Auge und wirkt entspannend. Der Ausblick vom neuen Dachpark wird jedenfalls sehr schön sein. Für die Landschaftsgestaltung werden die international agierenden Vogt Landschaftsarchitekten aus Zürich verantwortlich sein. Sie arbeiten aktuell in Addis Abeba am Meles Zenawi Memorial Park, nach Aufträgen des Metropolitan Museum New York und der Tate Modern in London. Ihr Konzept versteht den Dachgarten als Erweiterung des Fußgängernetzes der histori­schen Altstadt.

Verlust des historischen Stiegenhauses

Kritiker beklagen den Verlust des historischen Stahlstiegenhauses des Leiner-­Kaufhauses und dass nur ein Teil der historischen Fassade erhalten bleiben wird. Und manch einer wundert sich über zeitliche Verstrickungen und bringt die KaDeWe-Pläne in Wien mit einem gescheiterten ­Signa-Projekt in Berlin in Verbindung. Dort wurde die Rekonstruktion des monumentalen einstigen Karstadt-Gebäudes vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ab­gelehnt. Das Projekt hätte ebenso wie in Wien eine Hybridnutzung haben sollen: Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastronomie, Fitness, Markt, öffentlicher Dachgarten und Kultur.