Er betrachtete Architektur als Lebensmittel, ein lebenswichtiges Gut, mit dem man sorgsam umgehen muss. Seinem kritischen Blick entging nichts und er nahm sich auch kein Blatt vor den Mund. Dietmar Steiner, 1951 in Wels geboren und selbst von Ernst Plischke und Gustav Peichl an der Akademie der bildenden Künste zum Architekten ausgebildet, ist seiner innersten Überzeugung stets treu geblieben. Für ihn gab es nichts schönzureden, wo nichts schönzureden war. Das hat ihm oft Kritik eingebracht, aber auch den allergrößten Respekt.
Wachgerüttelt
Mit der Gründung des Architekturzentrum Wien 1993 hat der viel gefragte Autor, Kurator, Kritiker und Juror der Öffentlichkeit ein großes Geschenk gemacht. 23 Jahre lang leitete er jene Institution, die die Wahrnehmung und das kollektive Bewusstsein rund um die Architektur und Stadtentwicklung wachrüttelte und wachhielt. Das AzW etablierte sich als Ort der Begegnung und der intensiven Auseinandersetzung mit dem Baugeschehen – national und international – in Form von Ausstellungen, Diskussionen und Workshops. Gleichzeitig wuchs hier die größte Sammlung von Vor- und Nachlässen österreichischer Architekten des 20. Jahrhunderts – ein unschätzbares Erbe, das allen, vor allem aber auch Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht wird, deren architektonische Bildung Dietmar Steiner besonders am Herzen lag. Als präsenter Beobachter bildete er sich stets seine eigene Meinung, auch zum Thema Wettbewerbe, dem er – wenig überraschend – kritisch gegenüberstand. „In Wahrheit spielt es keine Rolle mehr, ob es einen Wettbewerb gibt und ob der gut vorbereitet ist. Es geht doch darum, welche Objekte in welchem umgebenden Zusammenhang entstehen. Die Probleme sind rund um das Baugeschehen entstanden – ob das ein Wettbewerb ist oder nicht, ist nur noch ein marginales Problem im Verhältnis zur Gesamtsituation der Regulierungen und Vorschriften, die zum Teil kafkaeske Ausmaße angenommen haben. Wider jede Vernunft ist man einem Vorschriftengewirr ausgesetzt, das kaum mehr etwas zulässt.“ Die Zukunft liegt seiner Meinung nach im geladenen Wettbewerb: „Mit einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren, wo man Abstand nehmen sollte von Parametern wie Bausummen, Jahresumsatz, Referenzprojekten etc. Das bringt nichts. Nur weil einer einmal ein Stadion gebaut hat, ist er deshalb nicht für immer und ewig für weitere qualifiziert. Man sollte sich da die Chancen offenhalten.“
Gelandet in der Mainstream-Moderne
Selbst Architekt, betrachtete er die heimische Szene immer wieder besorgt und äußerte sich – was viele an ihm schätzten – ganz offen dazu: „Es wird zunehmend schwieriger, architektonische Leistung zu argumentieren, weil wir wieder in einer Mainstream-Moderne gelandet sind, wo man – auf einem hohen Geschmacks- und nicht so sehr inhaltlichen Niveau – einzelne Spitzenleistungen kaum erkennt, so es sie überhaupt gibt. Wenn man allein nur die Revue der Projekte ansieht, lässt sich eine gewisse gesamtkulturelle Veränderung der Architektur ablesen. Ich würde sagen, wir sind in einem ziemlichen Einheitsbrei gelandet. Ich vermisse stark die typologischen Auseinandersetzungen mit der jeweiligen Bauaufgabe, ich vermisse zur Gänze die Auseinandersetzung mit dem politischen, stadtstrukturellen oder landschaftsräumlichen Kontext.“ Doch war er, bis zuletzt, einer von denen, die das fast schon masochistische Wesen der Architekten zu ergründen versuchten. Ob es ihm gelungen ist? „Es gibt diese seltsame Paradoxie, dass Architektur medial und politisch eine Konjunktur hat wie niemals zuvor, aber gleichzeitig mit einem totalen Verlust des Respekts des Bauherrn gegenüber der Leistung der Architekten konfrontiert ist. Prekärste Arbeitsbedingungen für maximalen Erfolg. Dieser mangelnde Respekt ist meiner Meinung nach schon sehr bedenklich, ja geradezu kriminell.“ Um diesen Respekt hat Dietmar Steiner unermüdlich gekämpft. Und sein viel zu früh zu Ende gegangenes Leben bleibt als Zeugnis dieser bedingungslosen Leidenschaft für gute Architektur in Erinnerung.
Der Artikel als PDF