Technisches und baukulturelles Know-how verstärken sich exponentiell, wenn mentale und rechtliche Hindernisse den Weg freigeben. Ähnliche Aufgabenstellungen und kulturelle Ähnlichkeiten legen eine starke Kooperation von benachbarten Regionen nahe. Eine staatliche Grenze soll eine geringere Rolle spielen als bisher. Diese Idee liegt dem Projekt „Grenzüberschreitendes Kompetenznetzwerk Architekturwettbewerbe“ zugrunde. Es zielt auf verstärkte Zusammenarbeit und regionalen Wissensaustausch. Eine solche Kooperation findet bisher in geringerem Maße statt, als man aufgrund vergleichbarer regionaler Ausgangssituationen vermuten könnte. Einer der Gründe besteht in der unterschiedlichen rechtlichen Basis beim Vergabesystem in Deutschland und Österreich. Margit Friedrich, die Koordinatorin des INTERREG-Projekts, moderiert und betreut die Themen um das Wettbewerbsgeschehen beidseits der Grenze. Vor einem konkreten Start war zunächst eine Art „Übersetzungstabelle“ notwendig, um verschiedene statistische Vergleiche zu ermöglichen und die grundsätzliche rechtliche Basis einander gegenüberzustellen. Den Ausgangspunkt bildet zwar eine gemeinsame EU-Richtlinie, diese wirkt sich jedoch in den beiden Ländern unterschiedlich aus: in Österreich nach dem Bundesvergabegesetz BVergG 2018, in Deutschland nach der Vergabeverordnung VgV 2016. „Demzufolge gestaltet sich der Vergabeprozess in beiden Ländern verschieden und dieselben Wörter, z. B. Eignungs-, Anforderungs-, Auswahl-, Zuschlagskriterien werden anders verwendet“, erläutert Margit Friedrich. „Die Aufschlüsselung in Tabellenform war notwendig, um eine gemeinsame, präzise Sprache zu finden und sicherzustellen, dass nicht aneinander vorbeigeredet wird.“ Die Tabelle listet über 200 Begriffe. Es ergeben sich daraus Einblicke in die Unterschiede im Wettbewerbswesen zwischen Österreich und Bayern.
Gemeinsam grenzenlos gestalten
In der Art, Wettbewerbe zu gestalten, finden sich relativ große Unterschiede zwischen Bayern und Österreich. Eine Onlineplattform soll Informationsaustausch und grenzüberschreitende Beteiligungen ankurbeln.
Unterschiedliche Verordnungen
Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die rechtliche Stellung des Wettbewerbswesens – in Bayern gibt es eine klare, gesetzlich verankerte Richtlinie. Margit Friedrich betont diesen Unterschied: „Sämtliche Wettbewerbe in Bayern müssen bei der Bayerischen Architektenkammer zentral in München registriert werden. In Österreich werden Wettbewerbe auf Bundeslandebene behandelt und müssen mit der jeweiligen Länderkammer kooperiert werden. Dass bereits österreichintern ein merkbares West-Ost-Gefälle im Umgang mit Baukultur vorhanden ist, muss nicht eigens erwähnt werden.“ In Österreich steht der Wettbewerbsstandard Architektur (WSA 2010) nicht im Verordnungsrang, sondern folgt einer Empfehlung der Berufsvertretung – um den Wettbewerbsstandard klar juristisch zu verankern, fordert die Bundeskammer der Ziviltechniker von der österreichischen Bundesregierung hier ebenfalls eine Aufwertung in den Verordnungsrang.
In der Art, Wettbewerbe zu gestalten, finden sich relativ große Unterschiede: In Bayern gibt es weniger offene Wettbewerbe als in Österreich. Dieser Sachverhalt folgt einer kritischen Haltung gegenüber komplett offenen Verfahren. Auch ist der Zugang zu Wettbewerben in Bayern niederschwelliger gehalten, was jungen, unbekannten Architekturbüros mehr Chancen gibt. Franz Damm, Landschaftsarchitekt in München und Projektkoordinator auf bayerischer Seite, erläutert, dass durch eine zahlenmäßige Beschränkung der Einreichungen die starke Ressourcenverschwendung bei der Planung verhindert wird. Als Beispiel, wie für einen Wettbewerb volkswirtschaftlich mehr Kosten entstehen, als baulich investiert werden, erwähnt Franz Damm das im Jahr 2018 eröffnete Freilichtmuseum Glentleiten. „Die Sinnhaftigkeit lässt sich hinterfragen, wenn über 200 Wettbewerbseinreichungen einem Budget von 15 Millionen gegenüberstehen“, fügt er hinzu. Auch wenn es sich um eine attraktive Aufgabenstellung handelt, sollte nicht so viel unbezahlte Arbeitszeit in den Sand gesetzt werden.
Der Berufsstand in Bayern macht sich dafür stark, den gesamten Prozess transparent zu gestalten und die Zugangsschwellen für den Wettbewerb eher niedrig zu halten. Wird die Anzahl der Bewerber überstiegen, entscheidet das Los. „Damit kann man sich leichter abfinden, als wenn man glaubt, dass Referenzen zu gering sind oder dass man rausgeprüft wurde“, sagt Franz Damm. „Wenn aus Sicht der Ausschreibenden die Gefahr besteht, dass die Auswahl eingereichter Projekte zu gering sein könnte, besteht obendrein die Möglichkeit, das Spektrum zu vergrößern und selbst Teilnehmer zu setzen, das heißt es ist dann kein kompletter Zufall, wer teilnimmt. Diese Variante ist aber nicht zwingend.“ Diese Methode arbeitet einerseits offen, andererseits mit Einladung. Eine Entscheidung hängt dann auch mal vom Glück ab, weil ausgelost wird, wenn es zu viele Bewerber gibt. Und auch für die Jury ist es leichter, wenn sie nicht so viele Bewerbungen zu sichten hat.
Andererseits kann man die Teilnahme an offenen Wettbewerben mit der Herausforderung, sich einer unbekannten Anzahl von Mitbewerbern und einem hochkarätig, oft international besetzten Preisgericht zu stellen, als Weiterbildungsmaßnahme und Investition in Forschung und Entwicklung des eigenen Unternehmens sehen. Der offene Architekturwettbewerb bedarf einer gewissen fortlaufenden Regelmäßigkeit. So verteilen sich die interessierten Teilnehmer auf die angebotenen Verfahren, lautet die österreichische Sicht.
Umsetzung starten
Die Ergebnisse des Vergleichs von rechtlichen, sozialpolitischen und baukulturellen Analysen und Diskussionen bilden die Basis für eine Onlineplattform, die Informationsaustausch und grenzüberschreitende Beteiligungen ankurbeln soll. Geplant ist, diese Plattform bis Juni 2022 in den Zielgebieten zu präsentieren und durch Veranstaltungsreihen publik zu machen. Der Innsbrucker Architekt Daniel Fügenschuh, Vorsitzender der Sektion ArchitektInnen und Vizepräsident der österreichischen Bundeskammer der Ziviltechniker, ist Projektkoordinator für die österreichische Seite. Er erklärt die Motivation des Projekts: „Ziel ist es, über die Grenzen hinaus ein Bewusstsein und eine bessere Zusammenarbeit auf Berufsebene zu schaffen. Oft spürt man eine mentale Barriere. Beispielsweise ist es derzeit extrem selten der Fall, dass Tiroler Architekturbüros in Bayern tätig werden. Und auch bei vergleichbaren Städten wie Kufstein und Rosenheim passiert es bisher kaum, dass der eine Architekt im anderen Ort arbeitet.“
Es gilt, Vorurteile abzubauen, etwa den beidseits oft bestehenden Eindruck, ein Land benachteilige das andere. Mitunter besteht die fixe Idee, Büros aus Österreich kämen nicht zum Zug, wenn sie sich in Deutschland bewerben. Diese subjektive Wahrnehmung stimmt nicht mit der Sachlage überein. Prominentes Beispiel für Gewinnchancen österreichischer Architekturbüros in Bayern sind etwa das Konzerthaus München der Bregenzer Architekten Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm oder das Augsburger Wohnbauprojekt „Wohnen an der Spicherer Straße“, das vom Schwarzacher Büro Hermann Kaufmann gemeinsam mit Keller Damm Kollegen gewonnen wurde. Einer etwaigen Voreingenommenheit gegenüber ortsfremden Architekturbüros wird durch anonyme Wettbewerbseinreichungen entgegengewirkt, internationale Expertenjurys sichern angemessene Entscheidungen ab. „Es geht um Qualitätssicherung, nicht darum, den Markt zu schützen“, ergänzt Daniel Fügenschuh. Wobei es neben der Erweiterung des Schaffensbereiches von Architekturbüros ein Selbstregulativ geben wird: weite Anreisen bei kleinen Projekte vermindern wirtschaftliche Rentabilität.
Virtuell oder vor Ort
Von Corona beschleunigte Veränderungen in der Kommunikation wirken sich auch auf dem Gebiet der Architektur aus. Viele Büros waren schon länger bereit für Umstellungen in der Art, wie man kommuniziert. „Architektinnen und Architekten machen sich seit Jahren stark für digitale Einreichungen“, sagt Daniel Fügenschuh. Im Zuge des Lockdowns ist man jetzt schneller umgestiegen, verwendet virtuelle Treffen und tauscht Unterlagen digital aus. Waren manche Projektpartner oder Behörden bisher nicht willens oder imstande, auch andere Kommunikationskanäle zu verwenden, so beobachtet man nun ein gewachsenes Verständnis. „Es war noch nie so einfach und schwierig gleichzeitig, sich an einem anderen Ort zu befinden. Mit einem Klick nimmt man von Innsbruck aus an einer Videokonferenz in München teil. Diese niedere Zugangsschwelle wirkt sich teils sehr positiv auf die Zusammenarbeit aus“, erläutert Margit Friedrich.
Digitalisierung gibt Wahlfreiheit
„Gerade bei Projektbesprechungen ist oft eine virtuelle Anwesenheit ausreichend, man schaltet sich einfach zu. Auch Mischformen sind sinnvoll, wo Experten sich von verschiedenen Orten einbringen können“, sagt Daniel Fügenschuh. So kann weiterhin Reiseaufkommen reduziert werden. Es gibt selbstverständlich Grenzen für die Effizienz der Onlineformate. Margit Friedrich bestätigt: „Als Prozesse, die eine persönliche Präsenz unabdingbar machen, kristallisieren sich z. B. Preisgerichtssitzungen bei Wettbewerben eindeutig heraus. Soziale Interaktion und persönliche Kontakte sind bei Videokonferenzen nur in limitiertem Ausmaß möglich.“ Zudem fehle die Möglichkeit, gehängte Wettbewerbsplakate zu betrachten und physische (Einsatz)Modelle zu beurteilen. Bei allen Vorteilen stößt man hier an eine Grenze, bei der rein digitale Prozesse nicht mehr sinnvoll sind.
Vielversprechende Kooperationen
Der grenzüberschreitende Wettbewerb eignet sich zur Förderung der Kooperation wie zum Abbau von Vorurteilen. Nun geht es darum, den Erkenntnisgewinn bei Architektenschaft und Auftraggebern in die Breite zu transferieren. Franz Damm berichtet, dass österreichische Büros häufig die in Deutschland verpflichtende Forderung seitens Auslobern schätzen, von Anfang an Landschaftsarchitekten einzubeziehen. Er hofft, „dass die positiven Erfahrungen von Kooperation aus Landschaftsarchitektur und Architektur stärker ins Bewusstsein kommen und die Methode gestärkt wird – weil die Ergebnisse besser sind.“ Der Landschaftsarchitekt mit österreichischen Wurzeln hat immer wieder mit österreichischen Kollegen in Deutschland zusammengearbeitet. Bei verstärkter Kooperation ist bereits spürbar, dass der unterschiedliche Background auftaut und Verständnis entsteht.
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