349 Interior Design

Kleines ganz groß

© Müller Möbelwerkstätten
Die Müller Möbelwerkstätten entwerfen schon seit vielen Jahren kompakte Möbel mit Multifunktion.
© Müller Möbelwerkstätten

Auf großem Raum kann man viele schöne Dinge machen. Und es ist denkbar einfach. Auf kleinem Raum jedoch einen vollwertigen, anspruchsvollen Wohnraum zu gestalten, dazu gehört noch viel mehr als Spürsinn für das Schöne.

von: Barbara Jahn

Microhousing, Small Living und Co-Sharing sind keine Erfindungen des 21. Jahrhunderts. Schon viele kluge Köpfe der Architekturgeschichte haben sich mit jenem Thema auseinandergesetzt, das für die Zukunft ein immer wichtigeres werden wird. Einer davon war Richard Neutra, der sozusagen den Selbsttest antrat. „Ich war überzeugt, dass Design mit hoher Dichte auf völlig menschliche Weise gelingen kann, und ich sah mein neues Haus als ein konkretes Pilotprojekt an. Ich wollte zeigen, dass Menschen, die in unmittelbarer Nähe zusammengebracht werden, unter sehr befriedigenden Umständen untergebracht werden können, indem sie diese kostbare Annehmlichkeit, die man „Privatsphäre“ nennt, in Anspruch nehmen. Daher habe ich, bewaffnet mit meinen Erinnerungen und Überzeugungen und in direktem Kontrast zum sinnesfeindlichen Gebaren meiner Kindheit, drei Familien auf meinem gewöhnlichen 60 mal 70 Fuß großen Grundstück neben Silver Lake gepflanzt. Und ich war in der Lage, die Dinge so zu arrangieren, dass unser Leben durch reiche Pflanzungen und belebende Aussichten verschönert wurde.     Man fühlte ein großes Freiheitsgefühl im VDL-Haus, da alles sorgfältig geplant war, um Interferenzen zwischen den verschiedenen Zonen des Hauses zu vermeiden, und es gab viele Möglichkeiten, selbst auszusteigen.“

Flexibel bleiben
Es war Oona Horx-Strathern, die schon lange immer wieder darauf hinwies, dass Singlehaushalte und kleinere Lebensformen die Zukunft unserer Gesellschaft repräsentieren werden. Veränderte Konstellationen im Zusammenleben, aber auch gewandelte Arbeitsgewohnheiten wirken sich direkt auf die Nachfrage nach geeignetem und leistbarem Wohn- und Arbeitsraum aus. Partnerschaften, die ein Leben lang halten, sind eher selten, ebenso wie Jobs, die vierzig Jahre beim gleichen Unternehmen gemacht werden – eine Art modernes Nomadentum entwickelt sich, auch zwischen Städten, Ländern und Kontinenten. „In dieser Zeit mit sich ständig wandelnden Gesellschaftsstrukturen macht die Veränderung auch nicht vor der Art des Wohnens halt: Mehr und mehr Menschen zieht es in die Städte, weshalb Wohnraum dort immer knapper und teurer wird. Aus diesem Grund müssen neuer als auch vorhandener Raum kompakter und effizienter gestaltet werden“, weiß Benjamin Oeckl, Geschäftsführer von Belform und Experte im Bereich Micro-Living und temporärem Wohnen. Bewohner von Micro-Apartments würden Wohnraum benötigen, der alles Notwendige einfach und schnell bereitstellt, aber dennoch ein „Zuhause“-­Gefühl vermittelt. Micro-Apartments stehen dabei nicht in Konkurrenz zu klassischen Wohnformen: Sie werden das herkömmliche Wohnen niemals er­setzen, sondern eröffnen neue Möglichkeiten für bestimmte Zielgruppen, die in der aktuellen Lebensphase eine entsprechende Wohnung benötigen. Dabei entlasten Micro-Apartments auch den klassischen Wohnungsmarkt, da größere Wohnungen nicht mehr für Wohn­gemeinschaften herhalten müssen.

Das Wenige schätzen
Die kleinen Wohnformen werden vielerorts kritisch gese­hen, jedoch sind deren Nutzer viel pragmatischer, da sie sich mit dem geringeren Wohnflächenangebot gerne arrangieren, wenn dafür das Umfeld stimmt und Kommunikation mit Gleichgesinnten möglich ist. „Neue Wohnformen sind gebaute Antworten auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppen, denen es nicht mehr so sehr um Wohnungsgröße als mehr um Kommunikation geht: nach dem Feierabend mit den Nachbarn zum Yoga oder doch lieber einen After-Work-Drink in der Community Lounge: Das ist Wohngemeinschaft neudefiniert“, ist Benjamin Oeckl überzeugt. Micro Living, Co-Living, Serviced Apartments & Co. revolutionieren also den Nischen-Wohnungsmarkt in großen Städten. Maximaler Komfort mit hohem Designanspruch bei einer Wohnfläche, die auf ein Minimum reduziert ist – dafür gibt es genau das für viele und nicht, umgekehrt, für einige wenige. Mit dabei sind alle Bereiche des Lebens, die auf sehr wenig Raum Platz finden – vom Bad über die Küche bis hin zum Schlafen und Wohnen. Auch wenn sich eine Wohnung zur kompakten Minieinheit entwickelt, so bietet sie im Gegenzug einige Goodies wie Gemeinschaftsräume, Community-Angebote und Digital Services, die jeder nutzen und auch gut kalkulieren kann. Nur das nehmen, was man wirklich braucht. So einfach ist es. Und Bewohner können, dank der möblierten Apartments, direkt ein­ziehen und sich zu Hause fühlen.

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