367 Bauwelt

Klimafitness an der Fassade

© www.alufenster.at | wahrer barkowsky architekten
Alufenster müssen Hunderten Produktnormen gerecht werden, welche sich auch ständig ändern.
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Neue, ambitionierte Ansprüche nicht gleich an der Gebäudehülle abprallen zu lassen ist keine leichte Übung. Denn nicht wenige davon werden an diese bereits gestellt.

von: Peter Matzanetz

Bei der Umsetzung von Grün am Gebäude steht man noch am Anfang, aber die Entwicklung in Richtung mehr davon ist politischer Wille. „Für uns ist die Klimaresilienz primäres Planungsziel, wobei es da mit anderen Nachhaltigkeitszielen Überschneidungen geben kann“, stellte der Wiener Planungsdirektor Thomas Madreiter unlängst auf einer Veranstaltung klar. Für neun von zehn befragten Städten in Österreich haben Bauwerksbegrünungen eine hohe Bedeutung. Dem Schutz vor Starkregen­ereignissen, zur Verbesserung des Mikro­klimas bei sommerlicher Überwärmung und für gebäudebezogene Energieeinsparungen sollen sie dienen. Zwei von drei österreichischen Städten arbeiten bereits an Klima­wandel-Anpassungsstrategien. Jede fünfte Kommune schreibt Dachbegrünungen verbindlich vor. Über das alles gibt der aktuelle Green Market Report vom Klimaschutzministerium Auskunft und man merkt: Je näher zur gelebten Praxis man sich befindet, umso mehr hinkt man den guten Wünschen hinterher. So gesehen überrascht die Tatsache nicht, dass nur jedes zehnte Flachdach bislang als Gründach ausgeführt wurde.

Grünfassade planen
Wenn es nach dem Verband für Bauwerksbegrünung GRÜNSTATTGRAU geht, soll sich das rasch ändern. Hier bemüht man sich redlich, das Thema auch in der Praxis mit Argumenten wie diesem nach vorne zu bringen: „Vorgehängt und hinterlüftet an der Fassade angebracht, stellt die wand­gebundene Fassadenbegrünung eine zusätzliche Dämmung des Gebäudes dar.“ Aktiver Überwärmungsschutz wird als Nutzen sowieso betont.
Alternativen zu wandgebundenen Systemen mit Bewässerung bieten Kletterpflanzen. Als solche bahnen sie sich vom Boden oder von Trögen aus über Stäbe, Seile, Gitter oder Netze ihren Weg nach oben. So weit, so gut, nur dass die Konstruktion hierfür trotzdem kraftschlüssig, also mithilfe von thermisch entkoppelten Wandankern, in der tragenden Konstruktion des Gebäudes befestigt werden muss. Bei der Dimensionierung der Kletterhilfe wäre das Pflanzenwachstum mitzubedenken, mit der Folge starker Zugkräfte. Derartige bauphysikalische Themen können insbesondere in einer frühen Planungsphase eine zusätzliche Herausforderung bedeuten.
Ganz ohne Rankgerüste geht Fassadenbegrünung aber auch nicht. Wärmedämm-­Verbundfassaden sind nämlich aufgrund der mechanischen Belastung nicht wirklich für eine Direktbegrünung, beispielsweise mit Efeu, geeignet. Fassaden aus Glas, Kunststoff, sandigen Flächen, stark reflektierenden Flächen sowie dunkle Oberflächen werden von Pflanzen wiederum ohne technische Hilfen nicht wirklich erklettert. Tröge für Pflanzen, die im Niveau mehr als fünf Meter hinauswachsen, benötigen außerdem Tröge mit mindestens 250 Litern Fassungsvermögen. Bei mehrfachen Anwendungsfällen an einer Fassade sind statische Speziallösungen plötzlich Thema.

Überflutung mit Normen
Orientierung für eine qualitätssichere Umsetz­ung begrünter Fassaden soll die ÖNORM L1136 (2021) geben. Sie liefert Informationen zu bau-, vegetationstech­nischen, botanischen Anforderungen, Anwendung von Baustoffen und Pflanzen sowie Details zur Planung, Errichtung, Pflege sowie zur Wartung begrünter Fassaden. Sich dem Ganzen als Gebäudeplanerin oder -planer zu entziehen, könnte hinkünftig schwierig werden. Für Wien zumindest gibt es bereits Ankündigungen, wonach Vertikalbegrünungen bei Änderungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans ein integrativer Bestandteil werden sollen.
Die OIB-Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik als Grundlage für die Gesetzestexte der Länder greifen neue Normen wie die erwähnte auf und eine überarbeitete Version bestehender Richtlinien soll noch im Frühjahr herausgegeben werden. Elisabeth Stampfl-Blaha, Direktorin von Austrian Standards, meint: „Nationale und internationale Standards können wesentlich zur Erreichung der Klimaziele im Baubereich beitragen und ihr Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft. Das vorhandene Expertenwissen sollte als Schutzschild gegen die globale Klimaerwärmung strategisch besser eingesetzt werden.“ Normative Kräfte bringen also neue Anforderungen in Richtung der Gebäudehülle und Pla­nungen werden dadurch um eine Facette reicher. Umgekehrt steigt der Grad an Komplexität, der mit zahlreichen bauphysikalischen Normen und Vorschriften bereits jetzt ausgereizt scheint. „Die Normen werden bei Überarbeitungen immer eher mehr als weniger“, lautet die Rückmeldung aus den Ziviltechnikerbüros des Landes und in der täglichen Praxis werden sie eher als Bürde denn als Erleichterung für die Um­setzung von Klimamaßnahmen wahr­genommen.
Was in der Theorie einfach klingt, wie die Grünfassade beim Parkdeck einzuplanen, könnte auch in einer unlösbaren Planungsaufgabe münden. Bei einem Parkdeck hätte nämlich zwecks Durchlüftung die Fassade zu zwei Drittel frei zu bleiben, was mit einem Bewuchs eben nicht mehr gegeben ist. Jenes aktuelle Beispiel eines Brandschutzplaners zeigt die Schwierigkeiten auf, die es generell zu lösen gilt. Im konkreten Fall müsste mit Vollbegrünung sonst ein Parkhaus eingereicht werden. Ein solches unterliegt aber strengeren brandschutztechnischen Vorschriften, was die Begrünung erst wieder bis zur Verunmöglichung erschwert. Die verpflichtenden Vorgaben zur Koppelung von Brandschutz mit Photovoltaik (PV) scheinen auch Konfliktpotenzial zu beinhalten. Die heute verfügbaren PV-Paneele seien nicht voll brandschutztauglich, hört man.

Technik oder Design
Mit Bedingungen gnadenlos konfrontiert sehen sich auch andere Produkthersteller, etwa die Fensterbauer. Auf dreihundert Normen käme es bei jenen letztlich an, und diese würden sich auch ständig ändern, sagt Harald Greger vom Aluminium-Fenster-Institut (AFI). Er nennt ein Beispiel einer Sicherheitsanforderung fürs Hochhaus von kommunaler Seite: „Fensterrahmen müssen gehalten sein und dürfen nicht geklebt werden.“ Weil von einer Baunorm hierzulande keine Gesetzwirkung ausgeht, komme es erst bei Schäden im Zuge von Nachforschungen zur Klärung einer Verantwortlichkeit. Dann wäre die eingehaltene Norm aber plötzlich das Maß aller Dinge. Auf bauphysikalische Erfordernisse bis hin zum Passivhausstandard ließe sich mit Wärmedämmmaßnahmen prinzipiell gut reagieren, also beispielsweise über einfache Formen oder das Weglassen von Wärmebrücken. „Die Schere geht dann auf, wenn man auch einen ästhetischen Anspruch erhebt“, sagt Greger in Richtung Architekturplanung. Die Aluminiumfensterbranche sei jedenfalls in der Lage, alle möglichen Designs auch normengerecht zu produzieren, aber der Aufwand müsse gewissermaßen abgewogen werden.
„Das Fenster ist ein komplexer Bauteil geworden“, ist sich Architekt Christian Heiss bewusst. Mit dreißig Jahren Berufs­erfahrung sieht er im Rückblick daher eine wachsende Spezialisierung innerhalb der Planungsthemen: „Früher machte ein Architekt alles selbst, also auch die Bauphysikplanung.“ Die Technik wäre einst simpel gewesen und ein Verständnis daher leicht aufzubauen. Weil das aber nun nicht mehr so gilt, wäre Spezialisierung angesagt. Um Regelungen und Innovationen dann aber noch einbeziehen zu können, müsse im Team mit Fachplanern und Bauherren gemeinsam am Projekt gearbeitet werden.

Klimabilanz hochhalten
Jahrzehntelang hat es für die Baustoff­industrie gereicht, dass die Baustoffe ihren Zweck erfüllten, in tragender und thermischer Hinsicht. Klimatechnische Unbedenklichkeit nachzuweisen wird aber aktuell eine Pflichtübung. Schließlich hängt die Bilanz des ganzen Gebäudes davon ab. Bei der Zementindustrie kündigt man für heuer noch an, „klimafitte“ Produkte auf den Markt zu bringen. Die Betonkernaktivierung im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien am Standort ist aktuell das glaubwürdigste Nachhaltigkeitsargument. Außerdem verweist die Zementindustrie darauf, dass sich die Langlebigkeit vom Beton in Öko­bilanzen positiv auswirkt. „Auf den Lebenszyklus gerechnet schneiden wir mit unserem Baustoff hervorragend ab“, sagt Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie. Die CO2-­Kalkulation sei ein wichtiges Thema, aber über die Lebensdauer betrachtet brauche man sich nicht zu verstecken.
Neue Nutzungen können tatsächlich in einem hundert Jahre alten Stahlbetonbau toll funktionieren. Damit das auch gilt, darf aber eigentlich nichts davon mehr so schnell abgerissen werden. Bei der Holzbaulobby proHolz sieht man im Revitalisieren sowieso die größten Energiesparpotenziale. „Man muss zuerst die schlechten Energiekennzahlen runterbringen, bevor man die Energiestandards beim Neubau noch weiter nach oben schraubt“, stellt Bernd Höfferl als Fachberater von proHolz Austria fest. In der Baustoff­frage will er lieber eine Annäherung statt des ewigen Gegeneinanders: „Weniger Emotionalität und mehr vom Miteinander wären gut.“ Zumindest wo es sinnvoll ist, könnten Kombinationen die jeweiligen Stärken des Baustoffs nach vorne bringen. Die betrieblichen Strukturen am Bau würden das derzeit noch verhindern, weil entweder dies oder das andere geübte Praxis ist.

Kälte- oder Überwärmungsschutz
Vom Dämmen dürfte sich im heißer werdenden Klima die Problemlage hinkünftig mehr aufs Kühlen verlagern. Dämmung als Antwort für Klimaschutz scheint daher unzureichend. Thomas Belazzi, Geschäftsführer von bauxund Forschung und Beratung, sieht Gefahren von Überhitzung: „Jeder Dämmstoff wirkt in beide Richtungen“. Ein heute noch ausreichendes Konzept gegen sommerliche Überwärmung, was Sonnenschutz, Speichermassen, Belüftung oder Kühlung betrifft, würde in wenigen Jahren nicht mehr genügen. „Hoher technischer und finanzieller Aufwand fürs Nachrüsten kann die Folge sein“, meint Belazzi, der gemeinsam mit dem Institut für Meteorologie an der Universität für Bodenkultur dazu eine „Klimafit-Beratung“ anbietet. Was in der Vergangenheit gut war, könne man in einem sich verändernden Klima leider nicht mehr in die Zukunft ableiten. 

Massive Argumente
Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zement­industrie, stellt sich den Fragen zum Klimaschutz. Seine Branche arbeitet an Lösungen und bietet Argumente, die für den Massivbau sprechen. Zement und Beton sind die Baustoffe, die einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Die Gebäudehülle (Wand, Dach) ist mit Klimathemen stark herausgefordert, wie kann die Zementindustrie hier unterstützen, um gesteigerten Planungsanforderungen zu entsprechen, also z. B. Bauteilaktivierung, Zementplatten, Material­innovationen, Betontröge etc?
Sebastian Spaun: Da muss ich mit einem Vorzeigebeispiel in die Vergangenheit schauen: Das ehemalige Fabriksgebäude der Firma Demuth im 7. Bezirk wird heute in nahezu unverändertem Zustand von der Kreativwirtschaft genützt, besteht aus einer sehr schlanken Stahlbeton-Skelettbauweise-Struktur mit einer Betonfassade. Diese Fassade ist unbeschadet seit fast 120 Jahren. Aber auch in die Gegenwart und Zukunft geschaut: Heute arbeiten Zement und Beton mit Hochdruck an der Dekarbonsierung des Bauwesens. Die Zementindustrie kommt in diesem Jahr mit einer neuen Generation klimafitter Zemente auf den Markt. Abgesehen davon, dass es sich um natürliche Baustoffe handelt, sind sie regional verfügbar. Zudem leistet Beton aufgrund seiner Speicherfähigkeit Hervorragendes: Die thermische Bauteilaktivierung ermöglicht in Kombination mit einer Wärmepumpe eine fossilfreie Energieversorgung von Gebäuden. Darüber hinaus kann die thermische Masse von Betonbauteilen der stark schwankenden Energieversorgung durch die Erneuerbaren ausgleichend entgegenwirken. Angesichts der immer heißer werdenden Sommer bietet die thermische Bau­teil­aktivierung darüber hinaus eine energie- und ressourcenschonende Kühlmöglichkeit.  

Die Ansprüche an die Gebäudehülle werden mit einem sich ins Bedrohliche wandelnden Klima mehr und klassische Produktstandards und Baunormen stehen wieder einmal auf dem Prüfstand. Wie kann man in dem Umfeld indivi­du­ellere und reibungslosere Planungen in der Beschaffung unterstützen (digitale Beschaffung, Baumanagement, Vorfertigung, CO2-Kalkulation, Mischbauweisen ...)?
Beton besteht aus natürlichen Gesteinskörnungen, Wasser und zu 10 Prozent aus Zement, der wiederum aus Kalkstein und Ton gebrannt wird. Als Baustoff für Kon­s­truktionen, ressourceneffizient geplant und qualifiziert eingebaut, zeichnet sich Beton durch seine Langlebigkeit aus, während er sich über den Prozess der Carbonatisierung einen Teil des bei der Zementherstellung emittierten CO2 aus der Umgebungsluft zurückholt. Betonfertig­teile können als Ganzes wiederverwendet werden, der Rest wird aufbereitet und rezykliert. Betonabbruch wird heute nahezu vollständig wiederverwertet und im Stoffkreislauf gehalten. Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung gewinnt im Hochbau zunehmend an Bedeutung. Aktuelle Forschungsprojekte befassen sich beispielsweise mit dem Thema Carbonatisierung: Wie kann der Anteil des wieder aufgenommenen CO2 in der rezyklierten Gesteinskörnung noch weiter gesteigert werden? Die Vorfertigung von Betonbauteilen, mittlerweile u. a. bereits inklusive Bauteilaktivierung, ermöglicht ein rascheres Bauen, eine punktgenaue Lieferung und Monta­ge wie auch eine garantierte Kostenstruktur. Die CO2-Kalkulation ist ein wichtiges Thema, unsere Branche braucht sich in puncto Ökobilanzen nicht zu verstecken – Beton punktet im Lebenszyklus mit Wartungsarmut, Langlebigkeit und seiner guten Recyclierbarkeit. Transparente Umweltdaten sind wichtig, weswegen die Zementin­dustrie die Ausrollung von Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declarations) vorantreibt.

Thema Kreislaufwirtschaft: Gibt es hier Vorzeigebeispiele?
Die Wohnbebauung auf den Reininghausgründen in Graz ist eines der aktuellen Vorzeigebeispiele, aber noch besser, weil schon länger bewohnt, ist doch die Bio­tope-City Wienerberg. Dort konnte der Betonabbruch der alten Fabrik aufbereitet und wieder verwendet werden – heute wohnen dort rund 2000 Menschen, mit viel Grünraum. Fakt ist, dass nur massive Baustoffe endlos im Kreislauf gehalten werden können. Städte sind die Rohstofflager der Zukunft, und mit klugen Konzepten muss dieses, ohne weitere Flächen zu verbrauchen, genutzt werden.

Unterschiedliche Vorstellungen konkurrieren bei der Gestaltung (Planung) einer Gebäudehülle, und mit Grünthemen und Energiethemen an Dach & Fassade wird es noch gehaltvoller. Wo sehen Sie hier Möglichkeiten, die Dinge unter
einen Hut zu bringen (System-Kombi-­Lösungen, Abstimmung der Gewerke, BIM-Planung …)?

Auch hier punktet Beton: Begrünte Fassaden eignen sich hervorragend in Kombination mit bzw. auf Beton, aber auch an Innenwänden. Es gibt mittlerweile Lebenszyklustools, die den Einsatz von Beton über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes abbilden – und, weiterer großer Vorteil von Beton: Er ist der Bau­stoff, der ohne Qualitätsverlust im Endloskreislauf gehalten werden kann. 

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