369 Naturstein
© Surat Diamond Bourse
Im größten Gebäude der Welt: Natursteine schmücken nicht nur die Foyers in der Surat Diamond Bourse in Indien.
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Mehr als nur Imagepflege

Nachhaltiges Bauen mit Naturstein ist ökologisch und repräsentativ zugleich. Fassaden, Eingangszonen und Bodenbeläge sind nur drei von vielen Einsatzbereichen, in denen der Naturbaustoff gut für die Umwelt und den Werterhalt eines Gebäudes ist.

von: Richard Watzke

Will ein Unternehmen Werte wie Natürlichkeit und Zeitlosigkeit in seiner Corporate Identity betonen, greifen Architekten gerne zu Naturstein. Kein Baustoff transportiert diese Botschaften so wirkungsvoll wie echter Stein. Schon in frühen Hochkulturen vermittelte das robuste und langlebige Material Beständigkeit. Tempel und Paläste hoben sich durch die Verwendung von Stein von den bescheidenen Behausungen des gemeinen Volkes ab. Bis zur Einführung moderner Diamantwerkzeuge im 20. Jahrhundert war der Werkstoff aufwendig zu verarbeiten – wer mit Stein bauen ließ, zeigte einerseits seine besondere gesellschaftliche Stellung. Ein Palast aus Stein sagte allen Betrachtern: „Seht her, ich kann mir das leisten!“

Zugleich war Stein Bauprojekten vorbehalten, die den Anspruch von Unvergänglichkeit hatten. Ein Palast mit Rustikaquadern war nicht nur repräsentativ, sondern vor allem auch wehrhaft. Wer sich hinter den dicken Mauern verschanzte, dessen Macht war durch nichts zu erschüttern, weder durch Angriffe konkurrierender Clans noch durch politische Wirren. Ganz pragmatisch war Stein auch beim Feuerschutz. Anders als Bauwerke aus Holz brannten Paläste, Tempel und Ratssäle aus Stein nicht ab und überdauerten Jahrhunderte. Auch wenn echtes Hausteinmauerwerk mancherorts aus finanziellen oder auch statischen Gründen durch auf Putz gemalte Quader abgelöst wurde, blieb die Intention bestehen, Dauerhaftigkeit in der Außenwirkung zu erzeugen.

Exklusivität betonen

Mit dem fortschreitenden gesellschaftlichen und politischen Wandel verändert sich stets auch die Art und Weise, wie und wofür Baustoffe eingesetzt werden. Gefahren durch Feuersbrünste und nächtliche Überfälle sind in unseren Breitengraden zum Glück gebannt, doch das Image als zeitloses, kurzlebige Moden überdauerndes Baumaterial ist dem Naturstein geblieben. Überall dort, wo Unternehmen auf eine lange Firmentradition und eine über viele Generationen anerkannte, hohe Qualität ihrer Produkte oder Leistungen blicken, kommt daher Naturstein zum Einsatz.

Welcher Stein sich am besten eignet, hängt neben der Funktion im Baukörper vor allem auch von der Art des Unternehmens ab. Granit mit seiner sprichwörtlichen Härte wirkt als Fassadenbekleidung einer Bank oder bei einem Juwelier trutzig, bei einem Bekleidungsgeschäft würde er hart und kalt wirken. Hier wird daher gerne beiger Kalkstein mit matter oder auch maschinell strukturierter Oberfläche eingesetzt. Optisch wirkt der Kalkstein eleganter, weicher und der neutrale Farbton des Steins passt zu jeder erdenklichen Farbpalette der Textilien.

Im Premiumbereich passt zu den hochpreisigen Produkten besonders gut lebhaft texturierter Marmor. Wie keine andere steht diese Gesteinsart seit der Antike für verschwenderischen Luxus und Exklusivität. Kein Wunder, dass Marmorsorten wie Calacatta oder der oft als Marmor bezeichnete Kalkstein Nero Portoro, aber auch viele andere Klassiker sehr häufig in den besten Einkaufslagen anzutreffen sind. Das Goldene Quartier in Wien mit seinen Ladenfronten ist hierfür ein beredtes Beispiel. Wer Luxus kauft, erwartet das entsprechende Ambiente. Je exklusiver dieses wahrgenommen wird, umso mehr fühlt sich der Kunde bestätigt in seiner Entscheidung, ein Produkt zu erwerben, das ihn selbst ebenfalls einzigartig macht.

Abkehr vom Historismus

Naturstein rein auf ein Spiel mit dem Image zu reduzieren wird dem hochwertigen Baustoff nicht gerecht. Bauen mit Naturstein ist dann am stimmigsten, wenn neben der optischen Wirkung auch Kriterien wie die spezifischen Materialeigenschaften berücksichtigt sind. Wie kaum ein anderes Gebäude seiner Art markiert Otto Wagners 1912 fertiggestellte Postsparkasse nicht nur stilistisch den Übergang vom Historismus zum Jugendstil, sondern zeigt auch die sich wandelnde Verwendung vom Baustoff Naturstein, nämlich steinsichtig und mit einer zur Zeit der Errichtung außergewöhnlichen Ornamentik. Das Hauptquartier der Österreichischen Postsparkasse war konzipiert als ein Zeichen für die Modernisierung des Bankwesens.

Entsprechend modern zeigt sich bis heute Otto Wagners Umgang mit Naturstein an der Fassade. Ganz in der Tradition der „sprechenden Architektur“ bekleiden Natursteinplatten wie ein Schuppenpanzer das Bauwerk. Die „Nägel“, die die einzelnen Platten an der Fassade zu halten scheinen, sind nur appliziert und ohne Funktion. In der stärker von Witterungseinflüssen betroffenen Sockelzone setzt Otto Wagner grauen Granit ein, darüber weißen Marmor. So modern das Gebäude erscheint, so wenig bricht es in den Details mit der klassischen Baukunst: Die Granitplatten deuten im Profil ein Kar- nies an, also ein Motiv, das bereits Andrea Palladio der Baukunst zurückgab.

Steinfassaden im Aufwind

Mies van der Rohes Barcelona­Pavillon von 1929 mag zwar das bekannteste Beispiel für die faszinierende Wirkung großformatiger Naturstein­Wandbekleidungen sein, doch das Spiel mit der Wirkung der texturierten Steinfläche begann schon viel früher. Das 1911, also fast gleichzeitig mit der Postsparkasse fertiggestellte Looshaus am Michaelerplatz zeigt Naturstein vollkommen schnörkellos und steinsichtig. Wie die Postsparkasse war das Looshaus ein Objektbau, errichtet im Auftrag des Herrenausstatters Goldman & Salatsch. Das Geschäftsgebäude sollte explizit modern sein, die erfolgreiche Firmenentwicklung repräsentieren, Ästhetik und Wertigkeit der Firma vermitteln und durch seine elegante Erscheinung Kunden anziehen. Mit der unverwechselbaren, lebhaft strukturierten Fassadenbekleidung aus weiß­grünem Cipollino­Marmor ebnete Adolf Loos dem Naturstein als Fassadenbaustoff den Weg in die Moderne.

Besonders richtungsweisend hierbei ist das Empire State Building an der 5th Avenue in New York. Mit seinen mehr als 100 Etagen war der Wolkenkratzer zu seiner Eröffnung 1931 das höchste Gebäude der Welt. Entworfen als Wahrzeichen für die Stärke der amerikanischen Industrie, besitzt das dank seiner Konstruktion mit einem tragenden Stahlrahmen in nur 16 Monaten Bauzeit errichtete Gebäude eine Vorhangfassade mit Naturstein – damals eine Besonderheit im Bauwesen. Jeweils vier Stahlanker verbinden die zehn Zentimeter starken Steinplatten aus Indiana Limestone direkt mit dem dahinter liegenden Ziegelmauerwerk. Die Ziegelwangen ihrerseits ruhen im tragenden Stahlskelett. Bei Befundungen der Fassade wurde 2006 festge- stellt, dass die Stahlanker teils stark unter Korrosion leiden, die Steinplatten selbst jedoch weitgehend intakt sind. Die Ab­platzungen an den Steinplatten werden durch Rostsprengung von den Ankern verursacht, weswegen die gesamte Fassade des Empire State Building regelmäßig einem Monitoring unterzogen wird.

Nachhaltig und repräsentativ

Wie sich Umweltfreundlichkeit und Reprä- sentationsauftrag mit modernsten Mitteln vereinen lassen, beweist die Surat Diamond Bourse. Das 15­stöckige Bürogebäu- de wurde 2022 im indischen Bundesstaat Gujarat eröffnet und entthront mit seinen 660.000 Quadratmetern Nutzfläche das Pentagon als größtes Bürogebäude der Welt. Zahlreiche technische und gestalterische Lösungen sollen das als Umschlagplatz für nationale und internationale Diamantenhändler konzipierte Megagebäude besonders umweltfreundlich und nachhaltig machen. Dazu trägt nicht nur die für eine natürliche Ventilation zu den vorherrschenden Winden ausgerichtete Fassade bei, sondern auch die Innenausstattung mit einem hohen Anteil an Naturstein, der neben dem guten ökologischen Fußabdruck zudem für die einer Diamantenbörse angemessene Opulenz sorgt.

Lesen Sie den ungekürzten Artikel sowie mehr zu den anderen Projekten ab Seite 62 der aktuellen Ausgabe 369-4/2023 oder am Austria Kiosk!