Weiß? Schwarz? Grau gar? Blicken wir aus dem Fenster – unseres Hauses, unserer Wohnung, unseres Büros: Alles eins jetzt! – auf den herrlichen See vor der Haustür (man wird ja wohl noch träumen dürfen!), sehen wir verliebte Schwäne. „Graue Schwäne sind ein Beispiel für etwas, das voraussagbar, aber undenkbar ist.“ Mit diesem Bild schraffiert der bulgarischstämmige Philosoph Ivan Krastev, Vorsitzender des Centre for Liberal Strategies in Sofia und Permanent Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen, das plötzliche Einschleichen eines unsichtbar-diffusen und geruchlosen Virus in unseren Alltag. Tatsächlich wurde landauf, landab der böse schwarze Schwan als Verursacher von SARS-CoV-2 – landläufig „Corona“ – namhaft gemacht. Was auf einem grundsätzlichen Missverständnis beruhte. Denn der vermeintliche Gewährsmann schlechthin, Nassim Nicholas Taleb, der wohl wichtigste Risikoforscher unserer Tage, kostete das permanente Ins-Treffen-Führen seines Buchs „Der Schwarze Schwan – Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ genüsslich aus, ehe er sich verhältnismäßig sehr spät (NZZ; 26.04.) zu einer Richtigstellung hinreißen ließ: „Hätte man mein Buch wirklich gelesen, dann wüsste man, dass eine globale Pandemie dort klar und deutlich als weißer Schwan figuriert – als ein Ereignis, das mit Gewissheit irgendwann eintreffen wird. Solche Pandemien sind unvermeidlich, sie resultieren aus der Struktur der modernen Welt.“ Ganz gleich, welche Nichtfarben (darunter werden Schwarz, Weiß und alle Grauabstufungen subsumiert) die Schwäne vor unserer Haustür haben: Inwieweit haben sich jetzt die Funktionen unserer Immobilien – vor allem in den Segmenten Wohnen und Retail – gewandelt?
Schwarze Schwäne vor unserer Haustür
Unsere Arbeits- und Lebensweisen haben sich in der Corona-Zeit radikal verändert, und Digitalisierung etwa ist ein noch dringlicheres Thema geworden. Wie wirkt sich Corona aber auf die Assetklassen Wohnen und Retail aus?
So schaut‘s beim Wohnen aus
Zwar erlebten Hotel-Developments beispielsweise eine harte Notbremsung, aber die „Post-Corona-Projekte“ laufen ansonsten allseits – in nahezu allen Assetklassen – schon wieder an: Allen Akteuren ist jetzt daran gelegen, der Corona-induzierten Ängstlichkeit eine lange Nase zu zeigen. Schauen wir zurück: Privater Wohnraum musste in den letzten Monaten vieles können – und beispielsweise als Homeoffice oder als digitales Klassenzimmer herhalten. Und: Aus der Not geboren, ploppte plötzlich das Verkaufstool virtueller Wohnungsbesichtigungen verstärkt auf. Wie stellt sich das Segment Wohnen aber heute dar? Bei 6B47 wurde kein einziges Projekt auf Eis gelegt, auch hat man sich – wie bei vergleichbaren Developern sonst gerne geschehen – gegen die Kurzarbeit für die Mitarbeiter entschieden. Zugutekommt dem Player allerdings, dass die in Entwicklung befindlichen Projekte erst nächstes Jahr in die Realisierungsphase gehen – man sei somit „grundsätzlich positiv gestimmt, wiewohl wir alle nicht wissen, wie sich der Markt mit einer möglichen zweiten Welle entwickeln wird“, so Friedrich Gruber, Vorstand der 6B47 Real Estate Investors AG. Im Segment Wohnen habe sich „der Wunsch nach Freiflächen sowie bestens genutzten Grundrissflächen in besten Lagen“ verstärkt, so Gruber. BIM (Building Information Modeling) käme selbstverständlich schon zum Einsatz, so etwa auch bei der Entwicklung des geplant gemischt genutzten Althan Quartiers (Architekturbüro ARTEC Architekten, Bettina Götz und Richard Manahl) – mit einer Nutzfläche von 80.000 m² das derzeit größte innerstädtische Entwicklungsgebiet von 6B47 (siehe Architekturjournal wettbewerbe 339 – 4/2018).
Wohnimmobilien stabil und krisensicher
Und bei der BUWOG? Seitens der Generalunternehmer wurden im März die Bauarbeiten zum Teil oder ganz eingestellt. Dadurch verzögerte sich etwa auch die Fertigstellung des neuen BUWOG-Kunden- und Verwaltungszentrums in der Rathausstraße 1 – allerdings um nur wenige Wochen. Generell könne man feststellen, dass sich der Bereich der Wohnimmobilien als „sehr stabil und krisensicher erwiesen hat“, so Andreas Holler, Geschäftsführer der BUWOG Group: „Es wurde und wird weiterhin nach Wohnungen gesucht, in Wohnraum investiert und Wohnbauprojekte werden wie gewohnt realisiert.“ Mit Lockerung der Ausgangsbeschränkungen Anfang Juni wurden alle Abteilungen in Kleingruppen eingeteilt, die seither im wochenweisen Wechsel vor Ort – in der neuen Zentrale – anwesend sind: konsequent unter der Einhaltung von Sicherheitsabständen und dem Tragen von Schutzmasken. Naturgemäß braucht es eine vorherige Terminabsprache.
In aspern Die Seestadt Wiens werden zurzeit zwei große Quartiere gebaut. Vorstand Heinrich Kugler erklärte gegenüber diesem Magazin, dass sich in der Fußgängerzone einige gewerbliche Erdgeschoßmieter „einbremsen“ mussten – da Behördenwege und Lieferungen über einige Wochen kaum möglich waren. „In Summe sehen wir aber nicht, dass es zu nachhaltigen Verzögerungen gekommen wäre.“ Im Quartier „Am Seebogen“ etwa sieht es so aus, als könnten die Bauträger ihre Zeitpläne einhalten. „Unsere eigenen Infrastruktur-Bauarbeiten und die UVP- und Covid-19-konforme Koordination der Logistik sämtlicher Baufelder wurden von unserem Baulogistik- und Umweltmanagementteam sehr rasch neu aufgesetzt“, so Kugler. Hier ist man jedenfalls sehr stolz darauf, dass fast jede Seestädter Wohnung einen privaten Freiraum – also Balkon, Terrasse oder Garten – hat. Und beim größten gemeinnützigen Bauträger Österreichs? „Wir haben im Mai Investitionsschwerpunkte für Neubauprojekte mit einem Gesamtbaukostenvolumen von 180 Millionen Euro gesetzt“, erklärt ÖSW-Generaldirektor Michael Pech, „das entspricht einem Umfang von rund 1000 Wohnungen, somit haben wir derzeit 4000 Wohnungen im Bau.“
„Viel Neues im geförderten Wohnbau“
Beim wohnfonds_wien wurden keinerlei Projekte auf Eis gelegt oder gestoppt. „Auch in der geförderten Wohnhaussanierung konnten wir keine unmittelbaren Auswirkungen feststellen. Es gab lediglich baustellenbedingte Verzögerungen“, heißt es seitens des Geschäftsführers Gregor Puscher und des Projektbetreuers Klaus Keppel. Durch die Krise sei deutlich geworden, wie „sicherer Wohnraum“ auch für die soziale Stabilität sorge. Unmittelbar seien „keine Auswirkungen auf die Grundstückspreise zu erkennen bzw. sind auch keine absehbar“. Das betrifft auch die laufenden Bauträgerwettbewerbe, wie die Geschäftsführer versichern: „Auf die gibt es derzeit keine Auswirkungen, bei den geplanten Verfahren laufen die Vorbereitungen nach wie vor routinemäßig.“ Beim wohnfonds_wien verweist man auf die Möglichkeit, den Balkonzubau im Rahmen des „Wohnkomforts-Programms“ in der geförderten Wohnhaussanierung zu fördern. Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung seien nicht erst seit Corona zentrale Themen. „Ökologie ist seit Beginn der Bauträgerwettbewerbe – also seit 25 Jahren – eine der tragenden Säulen des geförderten Wohnbaus in Wien. Einen weiteren Schritt in Richtung klimaresiliente Quartiersentwicklung werden wir mit dem Wettbewerb 3. Eurogate II gehen, der noch in diesem Sommer starten soll“, kündigt Puscher abschließend an.
Eine Zwischenbilanz
Summa summarum: Der Wohnungsneubau 2020 ist – trotz Corona – sogar auf absolutem Rekordniveau: Im Gesamtjahr werden geschätzt rund 19.000 Wohnungen fertiggestellt (davon entfallen 9000 auf das HJ1). Auch heuer setzt sich die schon im Vorjahr „deutlich spürbare Verschiebung des Angebots von Eigentums- zu Mietwohnungen fort“, wie es in einer Research der EHL Gruppe heißt: Die starke Nachfrage seitens institutioneller, am Aufbau langfristiger Bestände interessierter Investoren, die wegen hoher Liquidität und niedriger Zinsen auch sehr ambitionierte Preisniveaus akzeptieren, sei „eine starke Motivation für Entwickler, eher auf Miete als auf den Eigentumsbereich zu setzen“, so Sandra Bauernfeind, Geschäftsführerin der EHL Wohnen GmbH. Ein besonders großer Anteil der heuer fertigwerdenden Wohnungen entfalle auf die nördlich der Donau gelegenen Bezirke Donaustadt und Floridsdorf. Auch bei den Preisen bzw. Mieten zeige sich der heimische Immobilienmarkt „äußerst robust“, so Bauernfeind. Die Assetklasse Wohnbau ist also scheinbar „krisensicher“. Wie sieht es aber im gewerblichen Bereich aus?
Home und Office – Best of Both Worlds
Vorausgeschickt sei: „Das mit der Produktivität“ scheint „mehrheitlich einwandfrei“ funktioniert zu haben. So zeichnet etwa eine Umfrage des weltweit tätigen Kommunikationsmanagers OTRS ein klares Bild: Jeder dritte Befragte (genau: 39 %) gab im Juni an, im Homeoffice genauso produktiv arbeiten zu können wie im Büro. 43 % sagten sogar, dass sie beim Arbeiten von zu Hause aus noch produktiver seien. Einzig: Viele sehen die Gefahr, dass sie vor lauter Arbeiten gar nicht mehr auf die Uhr schauen – aber, Hand aufs Herz: Die kreativen Klassen hatten die Stechuhr schon „vor Corona“ abgeschafft. Und bidt – das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation – erhob (eine ähnliche Situation darf für Österreich angenommen werden): 69 % der Befragten wünschen sich, auch nach der Krise die Möglichkeit zu haben, von zu Hause aus zu arbeiten. Klar ist freilich auch: Die Zukunft des Arbeitens liegt in einer Mischung aus Homeoffice (bzw. mobilem Arbeiten: etwa im Zug) und der Präsenz im Büro – eben: Best of Both Worlds.
Braucht‘s überhaupt noch Büros?
Bei den Gewerbe- und hier vor allem bei den Officeflächen bestätigt sich jedenfalls der Trend von vor Corona: Die klassischen Großraumbüros, die wenig Flexibilität in der Nutzung zulassen, werden kaum mehr nachgefragt. So erklärt Christian Traunfellner, Head of Asset Management Office bei der Immofinanz, dass es bereits Anfragen von Mietern gegeben habe, mehr Flächen anzumieten, um mehr Abstand zwischen den Mitarbeitern gewährleisten zu können. In Deutschland denkt man schon über einen eigenen „Homeoffice-Bonus“ nach (FAZ; 13.6.) – dadurch sollen steuerliche Nachteile der Heimarbeit ausgeglichen werden. Diese angedachte Sonderzahlung versteht sich als Kostenpauschale für Arbeitnehmer, die in der Corona-Pandemie zu Hause arbeiten müssen/dürfen – die Rede ist von bis zu 300 Euro je Monat. Eine entsprechend großzügige Regelung wird auch für geboten gehalten, zumal sonst viele Pendler, die jetzt vom Homeoffice aus arbeiten, sonst sogar Steuern nachzahlen dürften.
„Krisengewinner Digitalisierung“
Was wird sich nach Corona noch geändert haben? Ineffiziente Abläufe am Bau entstehen häufig durch fehlende – digitale! – Baustellendaten. Lean Management versucht, hier Abhilfe zu schaffen: Bei diesem aus Japan stammenden Prozess werden schlankere Prozesse, kürzere Bauzeiten und optimierte Kosten angestrebt. Der Lean-Prozess hat sich hierzulande bereits durchgesetzt, so die überwiegende Expertenmeinung, genauso wie die digitale Prozessierung relevanter Bauwerksdaten via Building Information Modeling (BIM) – zumindest „am Bau“. In der Planung und in der Administration seien diese Prinzipien allerdings noch „unterrepräsentiert“, so Gottfried Mauerhofer, Professor an der Technischen Universität Graz. Diese hat neuerdings – übrigens als erste Hochschule Österreichs – einen Lehrgang für Lean Management initiiert. Die Wien 3420 aspern Development AG wiederum kooperiert mit dem – von der IG Lebenszyklus Bau initiierten – DBS-Club, der sich mit Digital Buildings Solutions befasst. Dessen Academy wird von aspern gehostet. Und das Kundenprojekt „Contakt“ von Sclable, das seit vergangenem Jahr auf ersten Baustellen zum Einsatz kommt, hat nun den German Innovation Award gewonnen: Sensoren werden an den Schalungen von Betonwänden positioniert.
Was wir gelernt haben
Was die Wohnwünsche betrifft, fasst die jüngste FindMyHome.at-Umfrage zur „Corona-Lage“ die Ergebnisse so zusammen: „Die Österreicher wollen in mittelgroßen Stadtwohnungen mit großzügiger Freifläche wohnen.“ Was die Arbeit betrifft: Wichtig ist es, dass die Menschen einander begegnen können – und dafür geeignete, inspirierende Räume zur Verfügung stehen. Das kann eine helle, freundliche Cafeteria ebenso sein wie ein kleiner Garten mit funktionierendem WLAN. An dieser Stelle eine Fußnote zur Hoffnung auf einen raschen Breitbandausbau: Zwar hat die damalige Regierung 2015 schon die „Breitbandmilliarde“ zugesagt, Experten rechnen aber heute mit bis zu zwölf Milliarden Euro für eine flächendeckende Versorgung Österreichs (abgesehen davon, dass das 5G-Netz projektbezogen über Landesgesellschaften abgewickelt wird).
Immobilienfinanzierung: Keine Klemme
Diese sei „während der Krise kein Problem für meine Kunden gewesen“, so Karin Fuhrmann, Partnerin der Unternehmensberatung TPA, in einer Zoom-Konferenz der Immobilien-Redaktion. Fuhrmanns Resümee: „Ich schließe eine Kreditklemme aus.“ Weitere Erkenntnis: Der verstärkte Einsatz digitaler Vermittlungsangebote wird den persönlichen Kundenkontakt nicht (gänzlich) ersetzen können. Und schließlich: Digitalisierung, Klimaschutz und Energieeffizienz sind Schwerpunkte, die uns in näherer Zukunft noch stärker begleiten werden. All diese Erkenntnisse werden künftig jedenfalls auch in der Stadtquartiersentwicklung zu berücksichtigen sein. Ganz gleich, welche (Nicht)Farben nun die Schwäne im See vor unseren Fenstern haben: In unserem imaginären Schloss wollen wir es doch immer gemütlich, großzügig und grandios haben (und gegen ein ordentliches Homeoffice haben wir schließlich auch nichts einzuwenden).
Der Artikel als PDF
- Der neue Glaspalast
- Grüne Roadmap