Naturstein
© Wenjie Zhang
Wehrhaft: Quadersteine in Form von Diamantspitzen zieren die Casa de los Picos in Segovia.
© Wenjie Zhang

Stein transportiert Botschaften

Naturstein war in vielen Epochen der Menschheit ein beliebter Baustoff der Mächtigen und Reichen. Seit der Antike wird eine Herrschaftsdarstellung gerne durch die Wahl eines Steines, seine Gestaltung und sogar seine Wiederverwendung untermauert.

von: Richard Watzke

Naturstein in der modernen Architektur ist ökologisch, dauerhaft und nachhaltig, besonders wenn regionale Steine verwendet werden. Zu diesen allgemein anerkannten, objektiven Argumenten pro Naturstein kommt stets eine weitere, nicht minder wichtige emotionale Komponente hinzu: Ein Bauwerk aus und mit Naturstein ist immer auch ein Statement der Auftraggeber. Niemand wählt zufällig Stein an der Fassade oder am Boden.

Echter Stein ist eine subjektive Entscheidung, angefangen bei der Materialwahl. Die Materialart, deren -herkunft und -bearbeitung tragen wesentlich zur Wirkung eines Bauwerks bei. In Zeiten vor der Einführung der Diamantwerkzeuge und computergesteuerten Maschinen rangen die Handwerker dem Rohmaterial mit Muskelkraft und Handwerkzeugen die Form ab.

Der Abbau, der Transport vom Steinbruch zur Baustelle und die Bearbeitung waren aufwendig, folglich war behauener oder gar geschliffener Stein besonderen Bauvorhaben und Projekten vorbehalten. In der Architekturgeschichte kennen wir daher viele Beispiele, bei denen Naturstein zur Vermittlung einer Botschaft entweder ganz bewusst selektiert oder in eine bestimmte Form gebracht wurde.

Der Stein des Kaisers

Das Helena-Mausoleum ist ein spätantikes Grabmonument in Rom an der Via Casilina. Es wurde unter Kaiser Konstantin um 330 errichtet und diente zunächst als Grablege für Helena, die Mutter des Kaisers. Der Sarkophag besteht aus Porphyr und ist ringsum mit Schlachtenszenen geschmückt.

Vor allem diese Schlachtenszenen stützen die These, dass Mausoleum und Sarkophag für den Kaiser selbst bestimmt waren, nach der Verlegung der Residenz von Rom nach Konstantinopel jedoch nicht mehr benötigt wurden. Nach einer Zwischenstation in der Lateranbasilika gelangte er in die Vatikanischen Museen. Bemerkenswert ist in unserem Zusammenhang das Material: Porphyr wurde in der Antike am Mons Porphyrites in Ägypten abgebaut und war bis in die konstantinische Zeit sehr beliebt.

Aufgrund seiner purpurnen Farbe war der seltene und harte Stein ausschließlich dem Kaiser und seinen Bildnissen vorbehalten. Angesichts der petrografischen Eigenschaften von Porphyr, der sich wegen seines von Klüften durchzogenen Gefüges nur selten in großformatigen Rohblöcken gewinnen ließ, ist der Helena-Sarkophag mit einer Länge von 2,70 Metern und einer Höhe von 1,80 Metern monumental und musste von den Zeitgenossen als außergewöhnlich repräsentativ wahrgenommen werden.

Spolien als Legitimation

Nicht erst seit dem Postulat der Kreislaufwirtschaft ist die Wiederverwendung von älteren Bauteilen in neuen Bauwerken ein weit verbreitetes Phänomen. In vielen mittelalterlichen Gebäuden fanden antike Bauteile einen neuen Platz. Die Gründe sind vielfältig und reichen von einem sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen bis zur Wertschätzung der wiederverwendeten Stücke.

Die ums Jahr 790 errichtete karolingische Königspfalz in Aachen folgt dem Vorbild von Zentralbauten wie San Vitale in Ravenna und Sergios- und Bakchos-Kirche in Konstantinopel. Der karolingische Zentralbau besteht aus einem inneren Oktogon und einem sechzehnseitigen, zweistöckigen Umgang. Das obere Stockwerk des Umgangs zeigt hohe Arkaden mit einer zweistöckigen doppelten Ordnung, für die antike Säulen aus Ravenna und Rom nach Aachen gebracht wurden. Die Provenienz der Säulen belegt, dass zusammen mit den Steinen auch die herrschaftliche Legitimation von den antiken Stätten auf die neue Kaiserpfalz übertragen wurde.

 

Das Bürgertum erstarkt

Nicht mit antiken Steinen, wohl aber mit dem Zitat der Typologie eines historischen Vorbildes spielt das Wiener Rathaus. Von 1872 bis 1883 errichtet, ist es ein eindrucksvolles Beispiel für die intensive und vielfältige Verwendung von Natursteinen während des Historismus in der Ringstraßenzeit. Die Rathausfassade ist ein herausragendes Beispiel für einen Profanbau der Neugotik.

Das Äußere ist von der Tradition spätgotischer Rathäuser, wie etwa dem Brüsseler Rathaus, inspiriert und versinnbildlicht die Kraft städtischer Freiheit und das Selbstbewusstsein des erstarkten Bürgertums. Zu radikal wurde der Gesamtentwurf jedoch nicht, entspricht der Grundriss des Rathauses mit sieben Höfen doch der räumlichen Disposition barocker Paläste.

Bürgerliches Selbstbewusstsein, vor allem der Kaufleute, spiegelt sich in Wien in einem weiteren weltbekannten Bauwerk wider. Das Looshaus, von Adolf Loos 1912 am Michaelerplatz fertiggestellt, markiert den Beginn der Moderne und damit die Abkehr vom Historismus und vom Hang der Secession zu überbordendem Dekor. Gerade dieser von Adolf Loos geforderte Verzicht auf Ornamentik als Selbstzweck lässt sich am Looshaus ablesen. Die Hauptansicht ist auf die Hofburg ausgerichtet. Oben eine schlichte, weiße Lochfassade, unten eine opulente Gestaltung mit vier massiven Säulen aus feinstem Cipollino- Marmor. Bereits beim Bau hagelte es Proteste nicht nur vom Kaiser, der sich von der „nackten“ Fassade direkt gegenüber seiner Residenz provoziert fühlte.

So schlicht die durch Blumenkästen nachträglich abgemilderte Anmutung der Fassade ist, so eindrucksvoll zeigt Loos, dass ein perfekt verarbeiteter Naturstein durch und für sich selbst spricht. Die markante Textur des Steins ist das schönste Ornament, das der Architekt wählen konnte. Mutig tritt die moderne Fassade des Konsumtempels der imperialen Pracht und bald schon schwindenden Macht der Hofburg entgegen.

Paläste für die Arbeiter

Unseren Arbeitern nur das Beste – nach dieser Devise entstanden im Roten Wien repräsentative Wohnkomplexe für die Arbeiterschaft. Viele Beispiele dieser Bauphase zeigen, dass auch bei den Baudetails nicht gespart wurde. Zahlreiche Portale und auch Außenanlagen sind mit Naturstein ausgestattet. Der Sandleitenhof ist eine kommunale Wohnhausanlage im 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring.

Historisch als typischer Arbeiterbezirk geltend, wurde dort zwischen 1924 und 1929 der größte Gemeindebau der Zwischenkriegszeit mit fast 1.600 Wohnungen errichtet. Die Sockelzonen der Wohnhäuser zeigen Blendmauerwerk aus Stein und auch die Platzgestaltung samt Brunnenanlage spricht für die Wertschätzung von Stein im kommunalen Wohnungsbau dieser Zeit.

Stein im Dritten Reich

Das Dritte Reich ist voll von Beispielen für die symbolträchtige Verwendung von Stein, sei es tatsächlich gebaut oder als Staffage zu Propagandazwecken. Prominentes Beispiel ist Leni Riefenstahls Film der olympischen Spiele von 1936. Zwischen die Sequenzen der Wettkämpfe und Gesichtsstudien der Sportler in Berlin mischt sie Ansichten antiker Gottheiten aus Marmor. Diesem Schema folgen auch die eingestreuten Szenen von Athleten vor und zwischen antiken griechischen Säulen. Antike Steinarchitektur und perfekt gestählte Körper, die suggestiven Bilder dürften die damals beabsichtigte Wirkung beim Publikum erzielt haben.

Wie pragmatisch die nationalsozialistische Architektur Naturstein zum Teil verwendete, belegt das großformatige Pflaster der 1939 fertiggestellten Großen Straße in Nürnberg. Von Albert Speer als Aufmarschstraße und zentrale Achse des Reichsparteitags-geländes geplant, ist sie auf die mittelalterliche Kaiserburg ausgerichtet und will somit eine direkte Verbindung zwischen dem Heiligen Römischen Reich und den Reichstagen in Nürnberg herstellen. Von den ursprünglich geplanten zwei Kilometern wurden 1,5 Kilometer mit einer Breite von 40 Metern fertiggestellt.

Auf einer Betonunterlage verlegte man 60.000 Granitplatten in Hell- und Dunkelgrau. Einerseits sollten sich die darauf in Formation marschierenden Gruppen bei Paraden leichter orientieren können, zugleich entsprachen die quadratischen Platten mit 1,2 Metern Kantenlänge exakt dem Maß von zwei preußischen Stechschritten. Heute dient ein Abschnitt der Großen Straße als Parkplatz der Messe Nürnberg.

Beitrag erschienen in der Print-Ausgabe 3/2023
Erscheinungstermin: 4. Juli 2023

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