Wenn in dieser Ausgabe des Architekturjournals wettbewerbe gleich vier neue Unternehmenszentralen vorgestellt werden, so ist das ein Anlass, das Prinzip Corporate Architecture näher zu beleuchten. Dass Architektur als Imageträger fungiert, ist kein neues Phänomen. War es in der Frühzeit der Industrialisierung vor allem die Größe, derentwegen Firmen Fabrikgebäude mit Reihen geschäftig rauchender Schlote auf Briefköpfen und in Annoncen abbildeten, so wurde und wird zunehmend auch über die Architektur selbst die Wahrnehmung von Unternehmen gesteuert, die oft abstrakte Konglomerate fusionierter Gesellschaften sind und, wie etwa Banken und Versicherungen, in der Außenwahrnehmung im Grunde keine positiv besetzte Identität mehr haben.
Man kann hier zu einem historischen Exkurs ausholen: Wer würde die Fagus Schuhleistenfabrik im niedersächsischen Alfeld an der Leine kennen, hätte ihr Chef Carl Benscheidt nicht einst den hoffnungsvollen jungen Architekten Walter Gropius beauftragt, sein Firmengebäude zu entwerfen? Das Fagus-Werk wurde 2011 zu seinem 100. Geburtstag mit dem UNESCO-Weltkulturerbe-Status ausgezeichnet und mit einer Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv geehrt. Der Firma hat das architektonische Wagnis im Übrigen nicht geschadet: Sie erzeugt im Gropius-Bau nach wie vor erfolgreich Schuhleisten.
Identitätsschärfung durch Architektur
Corporate Architecture at its best also – auch wenn der Begriff als solcher erst in den 1990er Jahren geprägt wurde. Der Gedanke einer Identitätsschärfung durch Architektur war zu Benscheidts Zeiten für Unternehmen recht neu. Als erstes Corporate-Architecture-Konzept und Teil eines professionellen Corporate-Design-Konzeptes gilt der Auftritt der Berliner AEG, die sich 1907 die Skills von Peter Behrens holte. Als Chefgestalter der AEG entwarf Behrens nicht nur die legendäre Turbinenhalle auf dem Werksgelände in Moabit, sondern, neben einem prägnanten Logo und der gesamten Grafik, auch elektrische Wasserkessel, Bogenlampen, Wanduhren und Ventilatoren. Behrens‘ gestalterisches Konzept, das konsequent schnörkellose, zuverlässige Modernität vermittelte – ähnlich wie die Baťa-Schuhfabriken im mährischen Zlín, Erich Mendelsohns Schocken-Kaufhäuser oder das ebenfalls stark auf Architektur ausgerichtete Corporate Design von Olivetti – bewährte sich hervorragend. Neben der Linzer Tabakfabrik realisierte Behrens auch die Zentrale des Chemiekonzerns Hoechst im gleichnamigen Frankfurter Vorort. Der expressionistische Bau aus den 1920er Jahren ist auch ein Beispiel dafür, wie eine ikonische Firmenzentrale zur Bildmarke werden kann – Behrens‘ Torgebäude zierte das Logo bis 1997, als der Konzern in einem gesichtslosen Konsortium mit einem nach Marketing-Kriterien generierten Fantasienamen aufging.
Jenseits des Atlantiks ging und geht es bei der virilen Parade glitzernder Firmenzentralen vor allem um Machtdemonstration in Form von Stockwerken, vom New Yorker Hochhaus der Nähmaschinenfirma Singer, das zur Zeit seiner Errichtung 1908 das höchste Gebäude der Welt war (und seit 1968 posthum den Weltrekord des höchsten jemals freiwillig abgerissenen Baus hält), über Woolworth und Chrysler zu Lever, Seagram, Pan Am und AT & T Building, die Architekturinteressierten heute oft präsenter sind als die Marken, die hinter ihnen stehen – auch die Tageszeitung Chicago Tribune wäre ohne ihren 1922 mit viel Medienpräsenz durchgeführten Hochhauswettbewerb schwerlich in die Architekturgeschichte eingegangen.
Gefahren der Corporate Architecture
Prinzipiell profitieren natürlich Planende wie Auftraggeber von mit dem Unternehmen assoziierter qualitätvoller Architektur – umso mehr, je besser das Gebaute das Image der Marke umsetzt. Die Bedeutung dieses Zweiges der Planung schlägt sich auch in der Einrichtung eines Masterstudiengangs mit Forschungsschwerpunkt Corporate Architecture an der Fachhochschule Köln vor vier Jahren nieder. Vermittelt werden Kriterien und Strategien für die Steuerung der Außenwahrnehmung von Unternehmen an den Schnittstellen zu Marketing, Design, IT, Soziologie, Raumplanung und Regionalentwicklung – wie nicht zuletzt Frank O. Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao zeigte, kann beispielsweise ein spektakulärer Museumsbau nicht nur die Aufmerksamkeit von seinem physischen und ideellen Inhalt – der Kunst – weg und auf sich selbst als Architekturikone ziehen, sondern ganze Regionen aufwerten.
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